Kränkelnde Ärzte impfen ohne Schnelltests und Impfung

Ein Mediziner schildert, was er als Arzt in einem der grossen Impfzentren in der deutschen Hauptstadt Berlin erlebt hat. Er sei fassungslos, mit welchem Leichtsinn geimpft werde.

, 18. März 2021 um 15:07
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Ein Arzt aus Berlin hat sich bei der NZZ Deutschland gemeldet. Was er in dieser Woche bei seinem ersten Einsatz im Impfzentrum auf dem Messegelände in Berlin erlebt habe, mache ihn fassungslos, sagt er gegenüber der bekannten Tageszeitung.   
Der Mediziner praktiziert seit zehn Jahren. Er wolle nicht mit Namen in den Medien stehen und auch niemanden persönlich anschwärzen, zitiert ihn die Zeitung. Trotzdem halte er die Vorgänge für so beunruhigend, dass er sie nicht für sich behalten wolle. Lesen Sie, warum er sich alle paar Tage selbst testet. Hier ist sein Protokoll, das er der NZZ zugetragen hat:
Wir Ärzte betreten das Impfzentrum auf dem Messegelände über den Personaleingang rechts neben dem Eingang Nord. Dort angekommen, bildet sich an diesem Morgen sofort eine lange Schlange. Klar, denke ich: Schichtwechsel. Ausserdem müssen die Kollegen ja alle schnell auf Corona getestet werden. Getestet wird dann nur die Körpertemperatur – draussen vor der Tür, bei etwa acht Grad Celsius, mit einem Infrarot-Fieberthermometer auf der Stirn.
Anschliessend wird unsere Gruppe aus etwa 30 Ärzten in einen Besprechungsraum geführt, wo sich der Leiter des Impf-Projektes vorstellt. Es folgt eine kurze Einweisung, bei der die Kollegin neben mir ausgiebig hustet und sich mehrmals schnäuzt. Ich nehme Abstand, schliesslich sind wir alle noch nicht getestet worden.
Als nächstes fragt der Leiter, wer schon alles geimpft sei. Es meldet sich rund ein Drittel der Ärzte. Der Leiter äussert seinen Unmut über diese Tatsache und bittet der ungeimpften Mehrheit seine Hilfe an, Druck bei der KV (Kassenärztlichen Vereinigung) zu machen, damit auch sie möglichst bald geimpft werde. Ich bin bei der KV bisher übrigens nur als zu Impfender im System aufgenommen worden, nach mehrfacher Nachfrage meinerseits.

Schnelltests für die Ärzte? Nicht vorgesehen

Dann soll es losgehen. Ich frage nach, wo denn der Schnelltest stattfindet. Die Antwort des Leiters: «Das ist nicht vorgesehen.» Es gebe weder Schnelltests, noch die Räumlichkeiten dafür. Diese Aussage führte zu einer betretenen Stille unter den Ärzten.
Die Impfstrasse besteht aus zwei Mal etwa acht bis zehn Kabinen, die jeweils von zwei Seiten zugänglich sind. Jedem Arzt werden zwei Kabinen zugeteilt, in denen wir primär impfen sollten. Zusätzlich werden wir gebeten, nach Möglichkeit in den gerade leerstehenden Kabinen von langsameren Kollegen auszuhelfen.
Die Impfung läuft so ab: Ein Dokumentationsassistent bringt die Patienten in die Kabine, wo als erstes ein Aufklärungsgespräch stattfindet. Bei meinen Gesprächen stellt sich heraus, dass die Mehrheit betagt ist und etwa 60, 70 Prozent unter schweren Vorerkrankungen leidet. Die Impfung dauert dann fünf bis zehn Minuten.
Auf der Impfstrasse herrscht ein reges Kommen und Gehen: Nicht nur ich und meine Kollegen laufen ständig von einer Kabine zur nächsten, das tun auch die Dokumentationsassistenten und Begleitpersonen. Dazu kommen die Soldaten, die neue Chargen mit dem Impfstoff von Biontech bringen.
Jetzt stellen wir uns mal vor, die offensichtlich erkältete Kollegin oder ein anderer, asymptomatischer Kollege wäre mit dem Coronavirus infiziert gewesen. Dann hätten sie an diesem Tag sowohl die anderen Ärzte, als auch die Dokumentationsassistenten und die Soldaten anstecken können. Vor allem wären sie eine Gefahr für die meist immungeschwächten Patienten gewesen. Die kommen ja in dem Glauben, dass im Impfzentrum alle Vorsichtsmassnahmen getroffen werden, damit genau das nicht passiert. Wo, wenn nicht an diesem Ort?
Zusammenfassend kann ich nur sagen: Ich bin fassungslos, mit welchem Leichtsinn bei uns geimpft wird. Jeder Arzt und Angestellte, der einen Dienst in einem Impfzentrum verrichtet, muss doch zumindest vorher einen Schnelltest machen. Sonst wird aus einem Corona-Schutz-Zentrum im schlimmsten Fall ein Corona-Verbreitungszentrum.
Mir ist auch völlig unklar, warum wir Ärzte nicht selbst geimpft werden, bevor wir andere impfen – ohne Anmeldung und ohne «Bitte, Bitte», weil wir etwas für die Gesellschaft tun. Ich selbst teste mich seit diesem Einsatz alle paar Tage selbst.
P.S. Vor kurzem habe ich auch am Flughafen Tempelhof einen Impfdienst absolviert. Dort wurde nicht einmal am Eingang Fieber gemessen.
Die Zeitung hat die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit am Mittwoch schriftlich gebeten, zu diesem Bericht Stellung zu nehmen. Bisher liegen keine Antworten vor, wie der Chefredaktor der NZZ Deutschland Marc Felix aus Berlin berichtet. Wir bleiben dran und halten Sie auf dem Laufenden. 
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