Masernfälle: Die Schweiz liegt über dem europäischen Schnitt

Die Schweizer Bevölkerung liebäugelt mit einem Impfobligatorium bei Masern. Aber wie sieht die akute Lage aus?

, 14. November 2016 um 09:10
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Gesundheit ist Privatsache. Die Eigenverantwortung bleibt wichtig. Und Obligatorien werden von der Schweizer Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt, etwa wenn es um Gesundheitschecks oder auch Impfungen geht.
Dies eine klare Aussage des «Virusbarometer 2016». Allerdings: Bei den Impfungen liebäugeln immer mehr Menschen mit Zwang – insbesondere bei Masern. 
Die repräsentative Umfrage unter 1'200 Personen, jetzt veröffentlicht, besagt: 74 Prozent der Befragten stimmten dem Satz zu, dass Kinder obligatorisch gegen Masern geimpft werden sollten. Gegenüber der gleichen Befragung 2015 war dies ein Zuwachs von 6 Prozentpunkten.
  • Mehr zu den Ergebnissen des «Virusbarometer 2016»
Hier wird auch spürbar, dass Impfen eben nicht so sehr als Selbstschutz verstanden wird, sondern stark als Akt der Solidarität; die entsprechende Aussage bejahen denn auch ähnlich viele Personen, nämlich knapp drei Viertel der Befragten.

10 Erwachsene, 3 Kinder

Doch wie dramatisch ist die Lage wirklich? Machen wir doch den Vergleich. Laut dem aktuellsten Lagebericht des BAG wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres 13 Masernfälle gemeldet – gegenüber 11 Fällen in der gleichen Vorjahresperiode.
10 Masernpatienten waren Erwachsene; die drei betroffenen Kinder waren zwischen 1 und 5 Jahren alt.
Insgesamt sanken die Fallzahlen zwischen 2013 und 2015 – dem letzten voll erfassten Jahr – von 176 auf 35 Fälle. Mit 3 Fällen pro Million Einwohner hatte die Inzidenzrate 2014 den tiefsten Stand seit Einführung des Meldeobligatoriums für Masern 1999 erreicht.
Im europäischen Vergleich stand die Schweiz mit knapp 4,2 Fällen pro Million Einwohner im letzten Jahr recht weit oben. Diese Quote blieb auch stabil, wenn man sich auf die aktuellsten Daten abstützt und den Zeitraum Mai 2015 bis April 2016 nimmt.
Masernfälle pro Million Einwohner 2015 — ausgewählte Länder Europas
  1. Österreich: 35,2
  2. Deutschland: 30,5
  3. Frankreich: 5,5
  4. Belgien: 4,2
  5. Schweiz: 4,2
  6. Italien: 4,1
  7. Norwegen: 2,7
  8. Schweden: 2,3
  9. Dänemark: 1,6
  10. Grossbritannien: 1,4
  11. Polen: 1,2
  12. Spanien: 1,0
  13. Tschechien: 0,9
  14. Niederlande: 0,4
  15. Finnland: 0,2
Zu beachten ist allerdings, dass diverse Aspekte das Bild prägen: Ein einzelner regionaler Ausbruch kann die Statistik kurzfristig massiv verschieben. So kam es im Februar 2015 in der Region Berlin zu einem grösseren Ausbruch mit Dutzenden Betroffenen – was Deutschland weit nach oben katapultierte.
Nimmt man also die Zahlen des 12-Monats-Raums August 2015 bis 2016, so sank die Quote in unseren Nachbarländern Deutschland (3,2 pro Million) und Österreich (2,3) wieder auf durchschnittliches Niveau. 
Einen anderen, derzeit aktuellen Faktor bietet auch die Migration: Ein Teil der Masernfälle sind quasi importiert – womit sie sich auch der hiesigen Impf-Prävention beziehungsweise einem Obligatorium verschliessen würden. 
Klar wird jedenfalls dabei: Das WHO-Ziel, die Masern in Europa auszurotten, lässt sich noch auf Jahre hinaus kaum durchsetzen.
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