Legionellose: Der Schweizer «Hot Spot» ist das Tessin

Das BAG hat die Entwicklung der Legionärskrankheit unter die Lupe genommen und kommt zum Schluss: In den letzten 20 Jahren haben sich die Fälle verfünffacht. Häufiger von der schweren Lungenentzündung betroffen sind Tessiner.

, 18. Januar 2022 um 07:02
image
  • bundesamt für gesundheit
  • pneumologie
  • ärzte
  • legionellose
Die Legionärskrankheit – auch Legionellose oder Legionellen-Pneumonie genannt –, ist eine schwere Form der Lungenentzündung. Sie wurde erstmals 1976 anlässlich einer Tagung der Kriegsveteranenvereinigung in den USA bekannt: «The American Legion» in Philadelphia hiess der Anlass, nach welchem 221 Männer an einer untypischen Lungenentzündung erkrankten. 34 Personen starben daran. Wie später nachgewiesen werden konnte, waren Bakterien der Art Legionella pneumophila in der Klimaanlage eines Hotels die Verursacher der Epidemie.
Die Legionärskrankheit ist weltweit verbreitet, allerdings wird sie in warmen Ländern öfter beobachtet als in unseren Breiten. Die Ansteckung erfolgt hauptsächlich über das Einatmen von zerstäubten Wassertröpfchen (Aerosole), die Legionellen enthalten. 
Weil sich die Bakterien in 25 bis 45 Grad warmem, stehendem Wasser am besten vermehren, kommen sie auch in von Menschen geschaffenen Wassersystemen, zum Beispiel in Duschen, Whirlpools und Kühltürmen, vor. Die Identifizierung der Infektionsquellen sei jedoch schwierig und gelinge auch in Ausbruchsuntersuchungen selten. «Über 80 Prozent der Fälle treten sporadisch, beziehungsweise als Einzelfälle auf», schreibt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) im aktuellen Bulletin

Demografie der Fälle der letzten Jahre 

In der Schweiz haben sich die Fallzahlen pro Jahr in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. 2018 erreichten sie mit 567 Fällen einen Höchstwert; 2019 wurden 530 und 2020 435 Fälle gemeldet. Die Fallzahlen und Melderaten sind laut BAG regional sehr unterschiedlich.
Zwischen Januar 2017 und Dezember 2020 wurden 1603 sichere oder wahrscheinliche Legionärskrankheitsfälle registriert, welche die Einschlusskriterien der Studie erfüllten. Die Erkrankung betraf mehrheitlich Männer (69,1%). 
Das Durchschnittsalter aller Fälle betrug 65 Jahre (Bereich 17–99), der Altersmedian lag bei 66 Jahren. Der Grossteil der Fälle war zum Zeitpunkt der Meldung hospitalisiert (88,6%). Zum Meldezeitpunkt waren 73 Personen bereits verstorben (4,6%). 

Höchste Melderate in der Schweiz 

Im Jahr 2000 lagen die Melderaten der Legionärskrankheit bei 0,9 Fällen pro 100'000 Einwohner: 2020 erreichten sie 5 Fälle pro 100'000 Einwohner. Nach einem Höchstwert im Jahr 2018 (6,3 pro 100'000 Einwohner) gingen die Fälle 2019 und 2020 zurück. 
Laut BAG haben die Fälle in den meisten europäischen Ländern zugenommen. «Die Schweiz weist jedoch eine der höchsten Melderaten auf», gibt das BAG zu denken.
Global präsentiere sich ein starkes saisonales Muster mit den höchsten wöchentlichen Melderaten in der nördlichen Hemisphäre im August (Juni im Jahr 2018). 
Im Covid-19-Pandemie-Jahr 2020 wurden weniger Fälle gemeldet als aufgrund der Vorjahre erwartet wurden. Das zeigen BAG-Analysen, die parallel zu dieser Studie durchgeführt wurden.
image
(Quelle: BAG)

Höchste Melderate in Lugano

Wie die Abbildung links zeigt, weisen die Fallzahlen und Melderaten eine ungleiche regionale Verteilung auf. Die über die vier Studienjahre gemittelte jährliche, nach Alter und Geschlecht standardisierte Melderate war im Kanton Tessin mit 15,8 Fällen pro 100'000 Einwohner am höchsten.
Mit 22,9 Fällen pro 100'000 Einwohner sticht Lugano als der Bezirk mit der höchsten Melderate heraus. Sieben von acht Tessiner Bezirken und ein angrenzender Bezirk des Kantons Graubünden wurden mithilfe der «Getis-Ord Gi»-Statistik als «Hot Spots» identifiziert. Zu den «Cold Spots» zählen laut BAG einzelne Bezirke der Ost- und Zentralschweiz. Woran liegt das?

Die Faktoren

Das BAG stellt fest, dass die Faktoren 
  • Menschen-Dichte,
  • Abwasserreinigungsanlagen,
  • Kompostieranlagen oder 
  • die natürlichen Infektionsquellen wie Seen und Flüsse
keinen grossen Einfluss auf die Melde raten hatten.
Zusammengefasst soll die Luftverschmutzung auf die Häufigkeit der Legionärskrankheit in der Schweiz einen Einfluss haben. Dabei sollen grossräumig wirkende Faktoren die Fallzahlen beeinflussen, selbst wenn keine Punktquellen identifiziert werden konnten. Das Verständnis dieser Faktoren helfe bei der Vorhersage von Fallschwankungen und bei der Planung von Präventivmassnahmen, so das BAG.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Forschung und Praxis: Synergien für die Zukunft

Dr. Patrascu erklärt im Interview die Verbindung von Forschung und Praxis an der UFL. Er beschreibt die Vorteile des berufsbegleitenden Doktoratsprogramms in Medizinischen Wissenschaften und zeigt, wie die UFL durch praxisnahe Forschung und individuelle Betreuung Karrierechancen fördert.

image

«Als Arzt nach Deutschland – warum nicht?»

Für Schweizer Assistenzärzte kann die Arbeit an einem deutschen Krankenhaus interessant sein. Die Nachfrage steige, sagt Martin Werner von DocsGoSwiss im Kurzinterview.

image

Münchner Arzt vor Gericht wegen Sex während Darmspiegelung

Ein Arzt soll während Koloskopien 19 Patientinnen sexuell missbraucht haben. Er sagt, die Vorwürfe seien erfunden und eine Intrige.

image

Pflege- und Ärztemangel: Rekordwerte bei offenen Stellen

Die Gesundheitsbranche bleibt führend bei der Suche nach Fachkräften. Laut dem neuen Jobradar steigen die Vakanzen in mehreren Berufen wieder – entgegen dem allgemeinen Trend auf dem Arbeitsmarkt.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.

image

Zukunftsvisionen für die Gesundheitsversorgung

Beim Roche Forum 2024 diskutierten Expertinnen und Experten zentrale Herausforderungen der Schweizer Gesundheitsversorgung und setzten wertvolle Impulse für die Zukunft.

Vom gleichen Autor

image

Kinderspital verschärft seinen Ton in Sachen Rad-WM

Das Kinderspital ist grundsätzlich verhandlungsbereit. Gibt es keine Änderungen will der Stiftungsratspräsident den Rekurs weiterziehen. Damit droht der Rad-WM das Aus.

image

Das WEF rechnet mit Umwälzungen in einem Viertel aller Jobs

Innerhalb von fünf Jahren sollen 69 Millionen neue Jobs in den Bereichen Gesundheit, Medien oder Bildung entstehen – aber 83 Millionen sollen verschwinden.

image

Das Kantonsspital Obwalden soll eine Tochter der Luks Gruppe werden

Das Kantonsspital Obwalden und die Luks Gruppe streben einen Spitalverbund an. Mit einer Absichtserklärung wurden die Rahmenbedingungen für eine künftige Verbundlösung geschaffen.