Kantonsspital Aarau kassiert eine Verwarnung

Für das Aargauer Gesundheitsdepartement hat das Kantonsspital Aarau (KSA) die Aufsichtspflicht mangelhaft wahrgenommen. Dies im Zusammenhang mit Beanstandungen in der Klinik für Neurochirurgie.

, 17. Dezember 2021 um 09:44
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Das Aufsichtsverfahren gegen das Kantonsspital Aarau (KSA) und dessen langjähriger Neurochirurgie-Chefarzt Javier Fandino ist nach einem Jahr abgeschlossen. Das Departement Gesundheit und Soziales kommt darin zum Schluss: Die KSA-Führung hat «die spitalinterne Aufsichtspflicht mangelhaft wahrgenommen». Dies im Zusammenhang mit Beanstandungen in der Klinik für Neurochirurgie. 
So sei der KSA-Führung damals unter Spitaldirektor Robert Rhiner die umstrittene Praxis der durchgehenden Anwendung der Analysesubstanz 5-ALA bei gutartigen Hirntumoren bekannt gewesen, schreibt der Kanton in einer Medienmitteilung. Bemängelt wird auch, dass die KSA-Spitze die Öffnung einer angeblich falschen Schädelseite während einer OP nicht weiterverfolgt habe. 
Damit liegt gemäss Bericht eine Verletzung der Aufsichts- und Überwachungspflicht des Kantonsspitals vor. Die Abteilung Gesundheit spricht als Konsequenz eine Verwarnung gegen das KSA aus, was selten vorkommt. Der Kanton hält gleichzeitig fest, dass das Spitalgesetz keine andere Massnahme als die Verwarnung vorsehe. Inzwischen hat sich das Kantonsspital vom damaligen CEO Robert Rhiner und auch vom Chief Medical Officer Christoph Egger getrennt. 
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Javier Fandino

Neurochirurg muss Busse bezahlen

Zuvor hatte das Kantonsspital bereits das Arbeitsverhältnis mit Javier Fandino aufgelöst, dem Chefarzt, der zum Zeitpunkt die Klinik für Neurochirurgie leitete. Er selbst zeigt sich «erheblich irritiert» darüber, dass der Einsatz von 5-Aminolävulinsäure (5-ALA) bemängelt wurde. 5-ALA finde weltweit immer mehr Anwendung und wurde in der Klinik für Neurochirurgie seit 2007 auch bei Meningeomen eingesetzt, Jahre bevor er 2011 Chefarzt am KSA wurde. Das Kontrastmittel werde zur besseren Erkennung von Tumorgeweben während der OP eingesetzt. Alle Patienten hätten eingewilligt – und in keinem Fall habe es Nebenwirkungen geben.  
Auch die Aussage der angeblich mangelhaften Vorbereitung eines operativen Eingriff teile er als verantwortlicher Operateur nicht. Fandino bezeichnet dies als «tatsachenwidrig und in höchstem Mass rufschädigend.» Das Aargauer Gesundheitsdepartement erlegt dem Neurochirurgen in diesem Zusammenhang eine Busse wegen «mangelhafter Ausübung der Sorgfaltspflicht» von 10'000 Franken auf. Dies, obwohl auch ein Untersuchungsbericht des Kantonsspitals zum Ergebnis kam, dass keine Seitenverwechslung vorlag. Für ihn sei es «schleierhaft», wie das Departement auf ein solches Ergebnis komme. 
Javier Fandino erkannte gemäss eigenen Aussagen während der Operation einer komplexen duralen arteriovenösen Fistel, dass zur Heilung auch die andere Schädelseite geöffnet werden musste. Dies konnte mit dem Patienten nicht vorbesprochen werden. Der damalige langjährige Chefarzt entschied sich nach Absprache mit seinem Team gegen einen OP-Abbruch, wie er schildert. Der Patient sei danach informiert worden und habe heute eine deutlich verbesserte Lebensqualität. Damit habe er das Ziel des Eingriffs erreicht, sagt Fandino. 

Vorwürfe bezüglich «Berufsethik» in Luft aufgelöst

Der bekannte Spitzenchirurg Fandino, der jetzt bei der Privatklinikgruppe Hirslanden operiert, zeigt sich generell enttäuscht darüber, dass man ihm im Zuge des Aufsichtsverfahrens kein einziges Mal die Möglichkeit gab, sich persönlich in einem Gespräch zu den Vorwürfen zu äussern.
Mit grosser Genugtuung nimmt er aber zur Kenntnis, dass die von zwei ehemaligen KSA-Kaderärzten gegen ihn erhobenen Vorwürfe sich als unbegründet heraus stellten. Zum Beispiel wurden Fandino unethische Forschung oder fehlende Einwilligungen von Patientinnen und Patienten vorgeworfen. Diese Entlastung bestätige seine bisherige Haltung, sagt er. 

Javier Fandino will Beschwerde prüfen

Auch das Kantonsspital Aarau hat vom Entscheid «mit Genugtuung» Kenntnis genommen. Unter anderem habe sich der Vorwurf von Strategiefehler als «nicht stichhaltig erwiesen», steht in einer kurzen Mitteilung zu lesen. Der Kanton Aargau hält jedoch fest, dass die Abteilung Gesundheit nicht für die Beurteilung von strategischen Fragen zuständig sei. 
Die Entscheide des Aargauer Gesundheitsdepartements sind noch nicht rechtskräftig und können beim Regierungsrat angefochten werden. Neurochirurg Javier Fandino wird eine Beschwerde prüfen, wie er gegenüber Medinside sagt. Das KSA hingegen akzeptiert den Entscheid und die Verwarnung. Entsprechende Massnahmen zu den im Aufsichtsverfahren kritisierten Punkte, wie etwa der Verzicht auf das Kontrastmittel 5-ALA, wurden gemäss Spital zudem bereits umgesetzt. 
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