Ist der Beirat ein Lobbyist?

Nach Aussage von Heinz Brand, Präsident des Krankenkassenverbands Santésuisse, haben keine zehn Parlamentarier einen Bezug zu einer Krankenkasse. Das kann man auch anders sehen.

, 15. Juli 2020 um 19:58
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«Weniger als zehn Parlamentarier haben heute einen Bezug zu den Krankenkassen.» Diese Aussage von Santésuisse-Präsident Heinz Brand in einem Interview mit dem «Blick» brachte Andreas Keusch in Rage. 

Keusch bezeichnet Brand als Lügner

Der selbsternannte Patientenvertreter aus Pfäffikon publizierte flugs die Liste von Lobbywatch und kommt somit auf mehr als zehn Parlamentarier mit einem Bezug zu einer Krankenkasse. «Heinz Brand kann somit schwarz auf weiss als Lügner bezeichnet werden», schreibt Keusch in einem Rundmail, das er wie gewohnt breit streute.
Was sagt Heinz Brand zu diesem Vorwurf? «Ich habe mich bei meiner Aussage auf jene Parlamentarier bezogen, die in einem Verwaltungsrat eines Krankenversicherers Einsitz haben und somit auch in einem gewissen Sinn als Unternehmens- und Interessenvertreter bezeichnet werden können», erklärt der ehemalige SVP-Nationalrat. Es sind dies:
  1. FDP-Ständerat Josef Dittli, Präsident Curafutura
  2. CVP-Ständerat Erich Ettlin, Stiftungsrat CSS
  3. FDP-Nationalrätin Anna Giacometti, Stiftungsrat ÖKK Landquart
  4. CVP-Ständerat Peter Hegglin, RVK Rück, Luzern
  5. BDP-Nationalrat Lorenz Hess, VR-Präsident Visana
  6. CVP-Nationalrätin Ruth Humbel, VR-Concordia
  7. BDP-Nationalrat Martin Landolt, Glarner Krankenversicherung

Das wären also sieben Personen. Doch auf der Liste von Lobbywatch sind weitere acht Parlamentarier aufgeführt, die alle im Beirat der Westschweizer Krankenkassengruppe Groupe Mutuel sitzen. 
Heinz Brand erklärt auf Anfrage, dass er bei seiner Feststellung die Mitglieder der Groupe de réflexion bewusst nicht einbezogen habe. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe sei sehr lose und mit keinerlei Verpflichtungen verbunden.

«Beiräte sind keine Lobbyisten»

Sind Beiräte vom Westschweizer Krankenversicherer Lobbyisten? «Nein», sagt Otto Hostettler, Co-Präsident von Lobbywatch. «Beiräte sind keine Lobbyisten; aber sie haben einen engen Bezug zu Krankenkassen und werden von diesen mit mehreren tausend Franken jährlich entlöhnt.» 
So gesehen sind es also tatsächlich mehr als zehn Parlamentarier, die einen Bezug zu einer Krankenkasse haben. «Der Beirat ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Politiker umgarnen lassen und diese glauben, sie seien weiterhin völlig unabhängig, obschon sie sich für ihre Tätigkeit bezahlen lassen», erklärt Otto Hostettler.
Groupe Mutuel ist zugute zu halten, dass sie in dieser Frage immerhin eine gewisse Transparenz gewährt. Auf ihrer Website sind die Namen der Beiräte aufgeführt. Sie treffen sich viermal jährlich, in der Regel vor der Session. Die Entschädigung beträgt maximal 4000 Franken pro Jahr. 
Noch nicht transparent ist dagegen die Zürcher SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer. Sie hat es bisher versäumt,  ihre Mitgliedschaft bei den Parlamentsdiensten zu deklarieren. Sie erklärt auf Anfrage, noch an keiner Sitzung teilgenommen zu haben. Sie werde aber die Liste der Interessenvertretungen überarbeiten. 

Die Mitglieder der Groupe de réflexion der Groupe Mutuel

  1. Roland Marcel Eberle, Vorsitz, alt Ständerat, Vizepräsident des Verwaltungsrates der Groupe Mutuel; 
  2. Martin Bäumle, Nationalrat (GLP/ZH);
  3. Marco Chiesa, Ständerat (SVP/TI);
  4. Olivier Français, Ständerat (FDP/VD);
  5. Alex Kuprecht, Ständerat (SVP/SZ);
  6. Martin Landolt, Nationalrat (BDP/GL);
  7. Damian Müller, Ständerat (FDP/LU);
  8. Leo Müller, Nationalrat (CVP/LU);
  9. Therese Schläpfer, Nationalrätin (SVP/ZH).

Drei Typen von Lobbyisten

Man kann die Lobbyisten in drei Kategorien unterteilen. Da sind die National- und Ständeräte. Darunter gibt’s Ämtlisammler wie FDP-Nationalrat Kurt Flury oder Personen wie FDP-Ständerat Damian Müller, die in Bundesbern offiziell die Interessen ihres Arbeitgebers vertreten. Zu dieser ersten Gruppe von Lobbyisten kann man auch jene Parlamentarier nennen, die hauptberuflich als Arzt oder Landwirt tätig sind.
Zur zweiten Kategorie zählen Lobbyisten, die bei einem Arbeitgeber angestellt sind und für dessen Interesse lobbyieren. Dazu gehören etwa Markus Neukom von der Migros, Felix Schneuwly von Comparis. Jürg Aschwanden von UPC, Stephan Brupbacher von Swissmem, Andreas Burgener von Auto Schweiz.
Die dritte Kategorie setzt sich aus Frauen und Männern zusammen, die bei einer Agentur wie etwa Furrerhugi, Dynamics Group oder Farner Consulting stehen und bei denen nicht immer klar ist, wessen Hut sie gerade tragen.
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