Illegale klinische Tests: Anklage gegen Hansjörg Wyss

Die Angehörigen einer verstorbenen Patientin fordern gut 9 Millionen Dollar – und erheben schwere Vorwürfe.

, 14. Dezember 2015 um 09:20
image
  • synthes
  • medizinaltechnik
  • forschung
  • usa
  • hansjörg wyss
Natürlich sind solche Klagen in den USA gängig. Und natürlich klingt der Tonfall der Anklageschrift immer aggressiv und einschüchternd. So sind auch die Vorwürfe zu lesen, die sich nun gegen Hansjörg Wyss richten und die von einem Gericht im US-Bundesstaat Washington angenommen wurden. Dem Schweizer Medtech-Unternehmer und Mäzen wird in einer Zivilklage «murder in the second degree as a class A felony» vorgeworfen – was in unseren Rechtsbegriffen etwa vorsätzlicher Tötung entsprechen würde.
Zu beachten ist dabei, dass es sich um eine zivilrechtliche Klage handelt – nicht um einen strafrechtlichen Vorgang. Aufgerollt wird das Verfahren von den Nachkommen einer Frau, welche durch die Anwendung von Synthes-Produkten zu Schaden gekommen sein soll. Konkret ging es um klinische Tests, welche Wyss’ Medizinaltechnikfirma Synthes in den USA durchführte, ohne die nötige FDA-Bewilligung erlangt zu haben (mehr dazu hierhier und hier).

Millionenbusse und Gefängnisstrafen

Beim probeweisen Einsatz eines Knochenzements namens Norian XR könnten mehrere Patienten gestorben sein, darunter Reba Golden, die im August 2007 starb, im Alter von 67 Jahren; sie war zuvor mit dem neuen Wirkstoff behandelt worden.
Im Oktober 2010 bekannte sich die Synthes schuldig, den Zement illegal verwendet zu haben; die Medtech-Firma bezahlte in der Folge eine Busse von 23 Millionen Dollar (und wurde wenige Monate später von Johnson & Johnson geschluckt, wobei Gründer und Mehrheitsaktionär Wyss rund 20 Milliarden Franken erhielt). 

«Leiter einer kriminellen Unternehmung»

Bald darauf, im November 2011, wurden auch drei Spitzenleute von Synthes wegen der Norian-Versuche zu Gefängnisstrafen zwischen fünf und neun Monaten verurteilt. Nicht angeklagt wurde jedoch der Konzernchef, Hansjörg Wyss. 
Die nun zugelassene Klage wurde angestrengt von Reba Goldens Tochter; sie wurde publik gemacht von «The Daily Caller», einer konservativen Polit-Newssite. Der Klägerin geht es offenbar darum, Hansjörg Wyss zu einer Genugtuungszahlung zu zwingen. Für diverse Verstösse, so die Forderung, soll der Schweizer Unternehmer rund 9,2 Millionen Dollar bezahlen. Mit angeklagt ist auch der Chirurg, der Reba Golden in Seattle behandelt hatte.
«Mr. Hansjoerg Wyss war der kontrollierende Aktionär und höchste Direktor von Synthes und Norian Corporation und der Leiter einer kriminellen Unternehmung», so die Anwälte der Hinterbliebenen in ihrer Klageschrift. «Die kriminelle Unternehmung engagierte sich, zu ihrem Gewinn, in einem Muster von Aktivitäten zum kriminellen Profit.»

  • «Civil Suit filed against Dr. Jens Chapman, Hansjorg Wyss and other defendants in criminal profiteering lawsuit by Cynthia Wilson, the daughter of the late Reba Golden»
  • «Transcript of Washington State Court Hearing on 10-30-2015»

 


 

Wie gesagt: Vorwürfe und Zivilklagen dieser Art gehören zum amerikanischen Business-Alltag. Zum öffentlichen Thema könnte die Sache in den USA aber werden, weil Hansjörg Wyss mittlerweile bekannt ist als wichtiger Spender für den Wahlkampf von Hillary Clinton.

«Clinton Donor Faces Lawsuit»

Der Schweizer mit Wohnsitz in Pennsylvania ist eben nicht nur in der Schweiz als Polit- und Wissenschafts-Mäzen aktiv, sondern er überwies auch der Clinton Foundation laut Schätzungen bislang über 5 Millionen Dollar. Die News-Site «Washington Free Beacon» meldete die Klage denn auch unter dem Titel «Clinton Donor Faces Lawsuit in Deadly ‘Human Experimentation’ Case»
Und «The Daily Caller» titelte: «Major Clinton Donor Faces ‘Criminal Profiteering’ Charges».  Das den Republikanern nahestehende Medium hatte bereits im Sommer zum Thema gemacht, dass eine ehemalige Partnerin dem Milliardär sexuelle Nötigung vorwerfe. 
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Die steigende Lebenserwartung hat ihren Preis

Eine neue Studie verdeutlicht den erhöhten medizinischen Pflegebedarf vieler alter Menschen vor ihrem Tod. Es ist die erste Studie mit Aussagekraft für die gesamte Bevölkerung.

image

Was Ärzte und das Pflegepersonal von Spitalclowns lernen können

Clowns in Spitälern muntern vor allem die kleinsten Patienten in Spitälern auf. Aber auch das Gesundheitspersonal kann Fähigkeiten von Clowns in ihrer Arbeit am Spitalbett einsetzen.

image

Studie: Fast jede Pflegeperson erlebt sexuelle Belästigung

Laut einer aktuellen Studie erlebt 95,6 Prozent des Pflegepersonals sexuelle Belästigung. Mehr als zwei Drittel der Befragten waren körperlichen Übergriffen ausgesetzt.

image

Blasenkrebs: Dank künstlichen Mini-Tumoren soll die Therapie verbessert werden

Berner Forschenden ist es gelungen, künstliche Mini-Blasentumore zu züchten, an denen sich Medikamente besser testen lassen. Damit sollen die personalisierten Therapien verbessert werden.

image

Neue Ausbildung will Patienten besser einbinden

Patienten als Experten: Ein Ausbildungsprogramm in der Schweiz soll Patienten auf aktive Mitwirkung in medizinischer Forschung vorbereiten.

image

ETH-Forscher entwickeln Ohrstöpsel, der Schlaganfall-Patienten helfen soll

Der smarte Knopf im Ohr von Paulius Viskaitis und Dane Donegan soll dabei unterstützen, nach einem Schlaganfall Bewegungen schneller wieder zu erlernen. Dadurch wird eine OP unnötig.

Vom gleichen Autor

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.

image

Wer will bei den Helios-Kliniken einsteigen?

Der deutsche Healthcare-Konzern Fresenius sucht offenbar Interessenten für den Privatspital-Riesen Helios.

image

Deutschland: Investment-Firmen schlucken hunderte Arztpraxen

Medizin wird zur Spielwiese für internationale Fonds-Gesellschaften. Ärzte fürchten, dass sie zu Zulieferern degradiert werden.