«Ich würde mir lautere Stimmen aus der Ärzteschaft wünschen»

Die Zürcher Medizinalethikerin Tanja Krones kritisiert das Schweizer Gesundheitssystem und die Pharmaindustrie. Und sie zeigt Lösungswege auf.

, 19. August 2019 um 09:03
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«Ich würde mir lautere Stimmen aus der Ärzteschaft wünschen.» Das sagt Tanja Krones, Leitende Ärztin für Klinische Ethik und Geschäftsführerin des Klinischen Ethikkomitees des Universitätsspital Zürich (USZ) im Interview mit der «Schweizer Familie». Ihre Aussage bezieht sich auf die schwarzen Listen, die der Kanton Thurgau führt. Säumige Prämienzahler - und ihren minderjährigen Kindern - werden in dieser Liste erfasst - mit schwerwiegenden Folgen: Ihnen bleiben Behandlungen selbst im Bereich der Grundversorgung verwehrt.
Die Ethikerin nimmt dabei aber nicht nur die Ärzteschaft in die Pflicht - sondern auch die Politik und die Justiz. Die schwarzen Listen seien unethisch und verfassungswidrig. Jeder habe das das Recht auf die Erfüllung des Bedarfs an existenziellen Grundgütern, so Krones. Dazu zähle auch das Recht auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung für Prävention, Therapie und Begleitung bei Pflegebedürftigkeit und im Sterbeprozess, sagt sie der SF. Die Notfallversorgung sei nur ein kleiner Teil davon. Die Schwarzen listen müssten schweizweit abgeschafft werden, fordert Krones.

Kein Arztbesuch wegen Armut

Weiter kritisiert die Ethikerin auch das Schweizer Gesundheitssystem. Dieses sei zwar insofern gut, als dass der technische Standard hoch sei, es kurze Wartezeiten, eine Kassenpflicht und eine meist gute Versorgung gebe. Doch gleichzeitig müssten die Patienten im internationalen Vergleich viel selber bezahlen. Speziell für Menschen mit tiefen Einkommen sei dies ein Problem.
Um die Prämienlast stemmen zu können, würden viele eine hohe Franchise wählen. Im Krankheitsfall müssten sie dann die Behandlungen und Medikamente selbst bezahlen - und könnten das Geld dafür dann nicht aufbringen. Deshalb würden arme Menschen im Bedarfsfall auf Behandlungen verzichten.  In der Schweiz hätten Armutsbetroffene deshalb ein erhöhtes Risiko,  gesundheitlichen Schaden zu nehmen. Auch dies widerspreche der Verfassung.
Krones zitiert aus Studien, die aufzeigen, dass  in  profitmaximierten Gesundheitssystem  jene Menschen am wenigsten erhalten, die es am meisten brauchen.

 «Toxische Wirkung»

Die Ethikerin äussert sich auch zu einzelnen Medikamententherpien, die horrende Einzelfallkosten verursachen. Sie zitiert einen mathematischen Grundsatz: Je mehr für einen Einzelnen ausgeben wird, desto weniger bleibt für den Rest. Dieser Tatsache begegne man in der Schweiz bisher, indem man einfach den Gesamtkuchen grösser mache. So bleibt für alle genug. Doch deshalb steigen die Prämien immer weiter. So stark, dass diese für immer mehr Personen unbezahlbar würden. Krones spricht darob im SF-Interview von «einer  toxische Wirkung».
Sie spricht sich deshalb dafür aus, dass die Pharmahersteller die Kosten für die Entwicklung eines Medikaments transparent machen und mit Studien belegen müssen. Wenn diese Bedingungen  nicht erfüllt sind, solle ein Medikament nicht zugelasssen werden. Sie fordert staatliche Regulierung und Prüfstellen. Diese müssten  Kosten, Wirksamkeit und Nutzen von Therapien prüfen. Damit erst würde die Basis geschaffen um in der Gesellschaft zu diskutieren, wie die vorhandenen finanziellen Mittel verteilt werden sollen und wie viel für eine Behandlung maximal ausgegeben werden soll und kann. Die Zulassungsbestimmungen für Medikamente gegen seltene Krankheiten müssten geändert werden.
In einem öffentlich-solidarisch finanzierten Gesundheitswesen sei eine fast grenzenlose Gewinnmaximierung durch einzelne Player nicht akzeptierbar, sagt die Ethiker in Interview. 
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