Pflegefachfrau schreibt emotional:«Ich bin erloschen»

Simona Siffert arbeitet seit Jahren als Pflegefachfrau. Sie schildert mit bewegenden Worten, warum sie sich von einem Beruf verabschiedet, den sie eigentlich liebt.

, 2. Mai 2022 um 08:06
image
  • pflege
Simona Siffert arbeitet seit über 18 Jahren in der Pflege. Die Pflegefachfrau schildert in einem Beitrag auf dem Berufsnetzwerk Linkedin, warum sie einen Beruf verlässt, den sie eigentlich liebt. Ihre Worte rufen ein überaus grosses Echo hervor. Viele Pflegefachkräfte und Gesundheitsprofis können diesen Schritt nachvollziehen. Lesen Sie am besten gleich selbst:
Ich bin erloschen.
Seit nunmehr 18 Jahren pflege ich.
Als Praktikantin, Studierende, Schichtverantwortliche, Fachverantwortliche, Berufsbildnerin und Leiterin Betreuung und Pflege.
Ich pflege.
In allen Dienstschichten und verschiedenen Versorgungsbereichen. In grossen und kleinen Institutionen. Mit vollem Herzen und all meinem Verstand.
Ich bin eine kompetente, gut ausgebildete und erfahrene Pflegefachfrau. Ich bin gut in meinem Job.
Und ich liebe diesen Beruf.
Die Vielfältigkeit, die Begegnungen, die Fachlichkeit ebenso wie die Emotionalität , die Komplexität, die Verantwortung, die Wissenschaftlichkeit, sogar die Hektik und die Notfälle.
Nun muss aus dem Beruf gehen.
Ja ich MUSS, das hat mit wollen nichts zu tun.
Ich bin wütend.
Die Bedingungen sind untragbar. Das politische System versagt sowohl auf kantonaler als auch auf Bundesebene. Seit Jahrzehnten.
Der Raubbau an Körper und Seele der Pflegenden – mir selber und anderen – nicht weiter zumutbar.
Spezifisch während der Pandemie hat sich noch deutlicher gezeigt, dass Unterstützungssysteme nicht existent oder zumindest nicht nützlich verfügbar sind.
In dieser «Pandemiezeit» ist etwas, was in mir was schon gebröckelt hat, definitiv kaputt gegangen.
Die Hoffnung, dass durch das JA zur Pflegeinitiative irgendwann Besserung eintritt ist vorsichtig da – für mich leider zu spät.
Ich bin erleichtert.
Ich werde mich nicht mehr entscheiden müssen zwischen der Versorgung von Patienten oder eigenen regelmässigen Mahlzeiten.
Nicht mehr entscheiden, wer nur notversorgt wird und wer ein Minimum mehr an Zeit beanspruchen kann.
Nie mehr entscheiden, ob ich noch eine weitere Doppelschicht schaffe oder Kolleginnen oder Kollegen in die Ferien anrufe und zum Einspringen anfrage.
Kein Absagen mehr von privaten Treffen oder eigenen Arztterminen.
Kein 24/7 Handy dabeihaben weil Pikett.
Nicht mehr immer mit dem Gefühl nach Hause gehen zwar das Beste gegeben zu haben, aber nie zu reichen.
Endlich ein Ende der kleinen und grossen moralischen Verletzungen die meine tagtäglichen Begleiter waren.
Ich will heilen – das geht für mich nur durch das Verlassen des Berufes.
Ich bin traurig.
Traurig, dass so viele gute Pflegefachpersonen den Beruf aufgeben müssen.
Traurig, dass ich etwas loslassen muss, was ich so sehr liebe.
Ich bin dankbar.
Es waren intensive 18 Jahre – voller Humor, Dankbarkeit, Trauer, Erfolge, Solidarität, Überstunden, Doppelschichten, Bereicherung und Begegnung.
Adieu Pflegebranche. 
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

«Wir verzichten auf unnötige Dokumente wie Motivationsschreiben»

Die Spitex Region Schwyz hat so viele Job-Interessierte, dass sie Wartelisten führen muss und darf. Wie schafft man das? Die Antworten von Geschäftsführer Samuel Bissig-Scheiber.

image

Pflegeversicherung in Deutschland steckt tief in roten Zahlen

Nicht nur in der Schweiz sind die steigenden Pflegekosten ein brisantes Thema. In Deutschland muss die Pflegeversicherung gerettet werden.

image

Pflegepersonal aus Frankreich: Genf will sich zurückhalten

Der Kanton vereinbart dem Nachbarland, sich weniger eifrig um Gesundheitspersonal aus der Grenzregion zu bemühen.

image

Pflegeinitiative: Wenn sich die Wirklichkeit nicht an den Plan hält

Auch im Thurgau sollte ein Bonus-Malus-System mehr Pflege-Praktika ermöglichen. Doch es fehlen die Menschen. Und jetzt bringen die Strafzahlungen Spitex- und Heim-Betriebe in Not.

image

Falsch verstanden? Spitex-Firma legt offen, wie sie Angehörige anstellt

Spitex-Firmen, die pflegende Angehörige anstellen, werden oft kritisiert. Weil einige Missverständnisse im Umlauf seien, sagt die Firmen-Chefin eines solchen Unternehmens.

image

BAB: Pflege-Berufsverband protestiert gegen Zürcher Kontroll-Pläne

Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich fordert bei Spitex und Spitälern zusätzliche Papiere – mit Millionen-Mehrkosten für die Leistungserbringer.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.