Herr Herren, Sie haben sich auf Handchirurgie und Schönheitschirurgie spezialisiert. Korrigieren Sie mich: Das passt nicht wirklich zusammen. Doch, wie Sie sehen, passt das schon irgendwie zusammen.
Das müssen Sie mir erklären. Die Handchirurgie als auch die ästhetische oder eben Schönheitschirurgie haben ihren Ursprung in der plastischen Chirurgie. Erst später begannen sich die Orthopäden für die Handchirurgie zu interessieren.
Bei der Handchirurgie geht es um die Wiederherstellung der Funktion, bei der plastischen Chirurgie geht es um das Äussere. Sie haben Recht. Die Zielsetzung ist diametral. Der Chirurg ist gewissermassen Carrossier. Es geht zum Beispiel darum, freiliegende Strukturen mit Weichteilen wieder zu bedecken. Da bewegt sich der Chirurg auf dem Gebiet der plastisch rekonstruktiven Chirurgie. In der ästhetischen Chirurgie geht es gepflegt ausgedrückt um eine Verbesserung oder Optimierung der Harmonie des Äusseren. Unter diesen Aspekten kommen sich die Gebiete in der Zielsetzung schon etwas näher.
Wie verhält es sich mit der Technik? In der Handchirurgie kommen viele plastisch-chirurgische Handfertigkeiten zum Einsatz. Ganz wichtig ist auch die Anwendung der Mikrochirurgie, welche sowohl in der Hand-, als auch in der plastischen Chirurgie eine grosse Bedeutung hat.
Und doch sind Sie wohl einer der wenigen, der die gesamte plastische Chirurgie inklusive Handchirurgie anbietet. Ich bin mir der Nachteile dieser Polyvalenz bewusst. Ich sehe aber Vorteile auch für die Patienten, wie auch für mich. Nach wie vor ist meine Tätigkeit spannend und ich liebe sie. Ich bin eigentlich Pfarrer, Coiffeur und Carrossier.
Ich kenne Frauen, die waren wirklich schön, liessen sich dann operieren, und nun ist ihr Gesicht völlig verzogen. Über Ästhetik im allgemeinen und Ästhetik in der plastischen Chirurgie und speziell über Ästhetik eines Gesichtes kann man philosophieren. Ästhetik ist abhängig von vielen Faktoren: ethnisch, persönlich, geschlechtlich. Das Kunststück besteht darin, allen diesen Punkten gerecht zu werden.
Zur Person
Ursprünglich wollte Andreas Herren einfach Doktor werden. Später machte er eine Ausbildung zum Allgemein Chirurgen. Im Berner Inselspital lernte er die chirurgischen Disziplinen kennen. «Die Handchirurgie war damals eine aufstrebende Disziplin». Chef war damals Professor Ueli Büchler, «ein sehr motivierten und motivierenden Chef», erinnert sich Herren. «Durch Zufall oder Glück hatte ich dann die Chance, bei Ihm die Ausbildung zum Handchirurgen zu machen».
Damals gab es noch keinen Spezialtitel Handchirurgie. Sie wurde einer grösseren Disziplin untergeordnet, zum Beispiel der plastischen Chirurgie. «So habe ich mich notgedrungen für die Mutterdisziplin Plastische Chirurgie entschieden».
Derzeit operiert der Facharzt Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie und Facharzt für Handchirurgie in der Berit Paracelsus-Klinik im Sanktgallischen Speicher, die von der Orthophädie Rosenberg belegt wird, sowie in der Hirslanden-Klinik Permanence im Westen von Bern.
Wie schaffen Sie das? Ob jetzt ein Gesicht übertrieben geliftet ist oder nicht, ist Ermessenssache. Gefährlich ist es, wenn man seine Ästhetik einem andern Menschen aufzwingt. Umgekehrt kann der Patient auch nicht verlangen, dass man allen seinen Wünschen Folge leistet. Es ist wichtig, dass der Arzt den Patienten spürt und umgekehrt der Patient den Arzt versteht. Es muss ein Konsens angestrebt werden.
In den USA wird viel mehr gestrafft als in Europa, stimmts? Durchaus. Aber selbst in einem kleinen Land wie der Schweiz gibt es ethnische, soziale und kulturelle Unterschiede. In St. Gallen oder Bern wird viel weniger auskorrigiert als beispielsweise in Genf.
Haben Sie auch schon Gesichter operiert, die Sie lieber nicht operiert hätten? Ja. Ich liess mich einfach überreden. Leider kommt das nicht immer gut. Diese Leute sind häufig nicht so glücklich. Ich habe nicht nur gute Fälle. Oder etwas menschlicher ausgedrückt: glückliche Frauen. Ich kann eben nicht alle Frauen glücklich machen.
Dann wird halt nochmals operiert, oder? Es ist wie mit einem Bild. Manchmal gelingt es nicht auf Anhieb, dann muss man nachbessern. Nachoperationen sind bei mir immer ein Thema.
«Wer im Alltag kann mit einer Frau schon über ihre Schönheit sprechen, wenn nicht der plastische Chirurg?»
Da stellt sich automatisch die Kostenfrage.Ich denke, da muss der Chirurg kulant sein und dem Patienten entgegenkommen. Ich persönlich verlange für Nachkorrekturen nichts.
Ich habe mir sagen lassen, dass insbesondere schöne Frauen den Schönheitschirurg aufsuchen.Ja, sie wollen noch schöner sein, als sie es schon sind. Das ist heikel. Da wird manchmal übertrieben, und die Resultate sind dann nicht mehr harmonisch. Schlussendlich geht es um den Konsens zwischen Arzt und Patient. Wenn der Patient einigermassen zufrieden ist, kann das Resultat nicht unbedingt schlecht sein. Vielleicht ist diese Patientin mit ihrem überkorrigierten Gesicht zufrieden. Schönheit ist Ermessenssache.
Haben Sie Frauen auch schon überzeugen können, von einer Operation abzusehen?In etwa einem Drittel der Fälle reicht es, den Patientinnen oder eben auch den Patienten Mut zuzusprechen. Man kommt dann bald ins Philosophieren, diskutiert über Ästhetik, Sex, Erotik und Ausstrahlung, Charme. Man spricht auch übers Selbstbewusstsein. Vielleicht brauchen Patientinnen auch einmal ein Kompliment und eine Relativierung ihres Äusseren. Wer im Alltag kann mit einer Frau schon über ihre Schönheit sprechen, wenn nicht der plastische Chirurg?
«Wenn der Ehemann von einer Brustoperation abrät, fühlt sich die Patientin vom Ehemann nicht ernst genommen.»
Der Ehemann oder der Partner.Wenn der Ehemann von einer Brustoperation abrät, fühlt sich die Patientin vom Ehemann nicht ernst genommen. Und wenn der Ehemann im Gegenteil zu einer Brustoperation rät, dann hat die Patientin erst recht Mühe damit.
Verständlich.Die Frau fühlt sich dann nicht akzeptiert. Ich berate die Patientinnen als Arzt, als Schönheitschirurg und als Mann.
Was sagen Sie dazu, dass Spitäler Werbung machen für Busenvergrösserungen?Früher gab es einen Ehrenkodex. Werbung und Marketing im ärztlichen Bereich war verpönt. Leider ist das jetzt erlaubt. Im Zeitalter des Marketings fühlt man sich fast verpflichtet, mitzumachen und sich anzupreisen. Ich empfinde das Ganze als unangenehm, peinlich und unwürdig. Aber ich bin auch schon alt und diesbezüglich nicht mehr up to date.
Gewisse Ärzte gewähren einen Mengenrabatt, wenn zwei Freundinnen gemeinsam zur Beratung erscheinen.Das geht ins gleiche Kapitel. Rabatt geben ist menschlich, sollte aber nicht angepriesen werden, sonst ist es unethisch und geschmacklos.
Gewähren Sie auch Mengenrabatt?Ich kann dem Patienten schon entgegenkommen, wenn die Kosten das Budget sprengen. Es ist mir durchaus gestattet, auch einmal etwas gratis zu tun, irgendeine Zugabe zu machen. Ich empfinde dies als freundschaftlich und menschlich und möchte dies nicht als Marketing verstanden haben. Wenn man dies jedoch öffentlich anpreist, ist es nicht mehr ethisch.