Schlecht für die Patienten, schlecht für den Standort

In den letzten drei Jahren hat die amerikanische FDA 76 innovative Arzneimittel in beschleunigten Verfahren zugelassen. Von diesen 76 besonders wichtigen Medikamenten sind in der Schweiz bis heute nur 43 zugelassen. Das ist frustrierend. Ein Beitrag von Thomas B. Cueni.

, 5. Dezember 2016 um 07:44
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«Während in der Schweiz die Exporte der meisten Branchen schwächeln, meldet die Pharma monatlich Rekordzahlen. Viele Firmen – ob Novartis, Roche, Biogen, CSL Behring oder Celgene – investieren in den Ausbau des Schweizer Standorts. Der Beitrag der Pharmaindustrie zur Schweizer Volkswirtschaft wie auch zur Qualität unseres Gesundheitswesens ist unbestritten.
Bundesrat und Parlament haben in den letzten Jahren mit dem Masterplan für die Stärkung der biomedizinischen Forschung, dem Gesetz über die Forschung am Menschen sowie dem Heilmittelgesetz klare Bekenntnisse abgelegt, auch Schwachstellen, wie den massiven Rückgang der klinischen Forschung in der Schweiz, angehen zu wollen.
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    Thomas B. Cueni

    Am Freitag wurde bekannt, dass Thomas B. Cueni den Branchenverband Interpharma verlässt: Seit 1988 hatte der studierte Volkswirt und ehemalige Diplomat die Geschäftsführung des Verbandes der Pharmaindustrie inne. Cueni wechselt als Director General zum Welt-Pharmaverband International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations.

Bundesrat Alain Berset und der grösste Teil der Parlamentarier meinen es ernst mit der Beschleunigung der Verfahren bei den Ethikkommissionen sowie der Zulassung und der Erstattung von Medikamenten.
So weit, so gut. Doch in der Praxis sieht es anders aus. Immer öfter habe ich in den letzten Monaten Klagen von Pharmafirmen gehört, weil neue, innovative Medikamente in der bürokratischen Maschinerie von Swissmedic oder dem BAG hängen bleiben.

Ich konnte die Zahlen kaum glauben

Als ich wissen wollte, ob es sich um Einzelfälle oder um ein systemisches Problem handelt, konnte ich die Zahlen kaum glauben: Seit 2013 hat die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) 76 innovative Arzneimittel in beschleunigten Verfahren zugelassen. Alles Medikamente, denen die amerikanischen Experten eine hohe Bedeutung für den therapeutischen Fortschritt zumessen. Von diesen 76 besonders wichtigen Medikamenten sind in der Schweiz bis heute nur gerade 43 zugelassen; und davon wiederum sind erst 26 kassenpflichtig, das heisst auf der Spezialitätenliste des BAG aufgeführt.
Zwei Drittel der von der FDA als besonders wichtig betrachteten Arzneimittel stehen also Schweizer Patientinnen und Patienten (noch) gar nicht zur Verfügung. Dabei handelt es sich genau um jene Art Medikamente, bei denen für die Patienten der rasche Zugang zur Innovation entscheidend wäre, und deren rasche Zulassung oder Erstattung ein wichtiges Signal an die Firmen wäre, zumindest einen Teil der klinischen Forschung auch mit Schweizer Spitälern durchzuführen.

Wer ist denn in Bern am Drücker? Die Verwaltung?

Für die Pharmafirmen ist das schockierend und für all jene frustrierend, die sich unter dem Stichwort Masterplan bemühen, mehr klinische Forschung in die Schweiz zu bringen. Gewiss, die Gründe sind multifaktoriell und liegen nicht immer nur bei den Behörden. Dennoch scheint die Frage berechtigt, wer denn in Bern am Drücker ist und die Vorgaben nicht oder nur widerwillig umsetzt: Der Bundesrat und die Politik oder die Verwaltung?

Sand im Getriebe

Die jüngste Entwicklung zeigt, dass irgendwo Sand im Getriebe ist. Da werden etwa Zulassungsentscheide von Swissmedic in Frage gestellt und zusätzliche klinische Studien verlangt – notabene bei einem Krebsmedikament, das die FDA als Durchbruch behandelte.
Und besonders beunruhigend: Der erfreuliche Trend zur rascheren Behandlung der Erstattungsgesuche nach der Einigung der Industrie über die Medikamentenpreise mit Bundesrat Berset hat sich wieder ins Gegenteil verkehrt. Statt dass rund die Hälfte der Medikamente innert 60 Tagen kassenpflichtig wird, sind es heute noch knapp 30 Prozent.
Diese Entwicklung ist schlecht für die Patientinnen und Patienten in der Schweiz und sie ist ein schlechtes Signal für den Wirtschafts- und Forschungsstandort Schweiz.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht im Blog | Newsroom von Interpharma. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Bild: PD
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