Die Gründe für das Startdebakel der Schweizer Impfplattform

Die freihändige Vergabe an Onedoc, die Datenschutz-Zertifizierung und der Absturz der Plattform werfen Fragen auf. Das BAG hat erste Antworten.

, 15. Januar 2021 um 14:27
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In Sachen Corona-IT hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kein besonders glückliches Händchen. Nachdem zuletzt die SwissCovid-App unter anderem wegen Datenschutzbedenken zu wenig User fand, hapert es nun bei der Plattform für die Impftermine.
Bereits kurz nach Impfstart stürzte die Plattform von Onedoc ab. Dabei waren der Grundauftrag von 800'000 Franken für 3 Monate plus eine Option über 150'000 Franken einen Tag vor Weihnachen freihändig vergeben worden.
Am 6. Januar sagte Jan Fehr, der Leiter des Impfzentrums der Universität Zürich, gegenüber der NZZ, «es gab Fälle, bei denen es während des Buchungsprozesses zu einem Systemabbruch kam». Der Grund dafür liege «offensichtlich in einer Fehlkonstruktion des Programms Onedoc», so Fehr weiter.
Nach dem Anmeldestart am 30. Dezember seien allein im Kanton Zürich in der ersten Stunde nach der Freischaltung weit über 100'000 Zugriffe verzeichnet worden. Das Programm sei schlicht nicht auf eine Nachfrage in dieser Grössenordnung ausgelegt, erklärte Fehr in dem Bericht.

Onedoc setzt auf einen Partner

Diese Erklärung war überraschend, weil bei der Auftragsvergabe eigentlich klar sein musste, dass gerade die Skalierbarkeit des Systems ein zentrales Element des Auftrags sein würde. Deshalb haben wir beim BAG nachgefragt.
Dort bestätigt man unsere Einschätzung und hält fest, dass die Kosten von fast 1 Millionen Franken für die 3 Monate hauptsächlich in die Skalierung fliessen würden.  «Die bestehenden Funktionalitäten der einfachen Terminbuchung für Spitäler und Arztpraxen mussten massiv ausgebaut werden für die spezifischen Prozesse in Impf-Zentren und anderen impfenden Institutionen.» Ausserdem, teilt BAG-Sprecher Marco Stücheli mit, wurde sowohl «in mehr Datensicherheit und Datenschutz investiert, als auch in notwendige Verbesserungen der Infrastruktur für einen stabilen Betrieb bei deutlich mehr gleichzeitigen Nutzern».
Doch wie konnte es dann zu dem Versagen in Zürich kommen? Offensichtlich ist der Systemabbruch nicht allein auf Onedoc zurückzuführen. Auch wenn im Zuschlag nur Onedoc als «Covid-19 Impfung Anmelde- und Erfassungssystem» genannt wird, arbeitet die Genfer-Zürcherische Firma mit der nach eigenen Angaben erst Ende 2019 gestarteten Telemedizin-Plattform Soignez-moi aus dem Berner Mittelland zusammen.
Der Vertrag mit Onedoc beinhalte das Unternehmen Soignez-moi als Sub-Contractor, erklärt Stücheli. Von diesem stamme die Web-Plattform für die Registrierung der Impfwilligen. «Von dort wird auf der Onedoc-Plattform ein Termin angefragt, sofern die Person bereits 'zugelassen' ist für die Impfung, also die Personengruppe, die 'dran' wäre», erklärt der Sprecher den Prozess. Onedoc verwalte alle Termine pro Impf-Organisation, weshalb man bei Soignez-moi auch auswählen müsse, zu welchem Impf-Zentrum man gehen wolle. Zudem laufe die Impf-Dokumentation via Onedoc.

Darum kam es zum Absturz

Zum Systemabbruch in Zürich sei es gekommen, weil man zwar Soignez-moi hätte nutzen sollen, doch – «weil es damals noch nicht fertig war» – versucht habe, das Problem mit Onedoc zu lösen, «was dann eben nicht geklappt hat», so Stücheli weiter.
Auf die Konsequenzen des Debakels für den Kanton Zürich angesprochen, teilt die kantonale Gesundheitsdirektion nur mit, dass an Verbesserungen gearbeitet werde, weil der Anmeldeprozess nicht wie gewünscht funktioniert habe. Was das konkret heisst und ob der Kanton sich für eine andere Impf-Terminierungsplattform entschieden hat, bleibt unklar.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass Zürich derzeit nicht zu den 11 Kantonen gehört, die auf der Website von Soignez-moi als Nutzer der gemeinsam mit Onedoc entwickelten Lösung für die «Priorisierung und Terminierung von Covid-Impfstoffen» aufgeführt ist.

Der eingeschränkte Blick bei der Beschaffung

Auf den sehr spät und freihändig vergebenen Auftrag angesprochen, führt Stücheli aus, die offizielle Auftragsvergabe habe nichts «mit dem echten Start aller Überlegungen und Arbeiten zu tun». Denn bereits seit September 2020 sei an den Systemen gearbeitet und gefeilt worden. Die «Firmen haben investiert, ohne zu wissen, ob sie zum Zuge kommen werden. Den konkreten Auftrag konnten wir erst vergeben, als die finale Impfstrategie und die Impfempfehlungen der EKIF (Eidgenössische Kommission für Impffragen) vorlagen: erst dann wussten wir welche Funktionalitäten konkret benötigt werden», hält er fest.
Zum Entscheid für Onedoc führt man beim BAG nur aus, es «gab eine Evaluation verschiedener Anbieter und Onedoc hat dort am besten abgeschnitten». Welche anderen Anbieter das waren, wird nicht gesagt. Offen bleibt, warum in den Monaten der Evaluation keine öffentliche Ausschreibung vorbereitet wurde. Zwar begründet das BAG das freihändige Verfahren mit «ausserordentlicher Dringlichkeit», bedingt «durch einen möglichst frühen Start der Impfkampagne im 2021». Allerdings hätten die Fristen für ein selektives oder offenes Verfahren bei «gebührend begründeter Dringlichkeit» von bis zu 40 Tagen auf 10 Tage reduziert werden können, wie das Beschaffungsgesetz dies vorsieht.
Fraglich ist auch, warum keine weiteren grosse Anbieter von Medizin-Terminierungslösungen angesprochen wurden. Nach unseren Recherchen wäre das in der Schweiz einzig Medicosearch. Auf Nachfrage heisst es bei dem Berner Unternehmen nur, man sei vom BAG überhaupt nicht angefragt worden.

Unklare Situation bei der Zertifizierung

Einen ISO-27001-zertfizierten Anbieter habe man beim BAG nicht in Betracht gezogen. Bei der Evaluation konnte nur der Anbieter «Onedoc/Soignez-moi ein Zertifikat nach VDSZ» vorweisen, verfügt also über eine entsprechende Datenschutzzertifizierung, wird vom BAG betont. Das gilt aber nur für Soignez-moi. Stücheli weist darauf hin, dass das Jungunternehmen von der Schweizer Prüfstelle SQS auditiert werde, was zuletzt im Juni 2020 geschehen sei; «das nächste Audit wird im Juni 2021 sein».
Eigentlich besitzen also nur Teile der Lösung oder des «Systems Onedoc», wie Stücheli einmal sagt, die VDSZ-Zertifizierung. Das sind die «Patientenanfragen und die Registrierung» von Soignez-moi, aber eben nicht die «Anmeldungen, Buchungen und die Impfdokumentation» von Onedoc. War der Zuschlag an Onedoc mit seinen nicht zertifizierte Prozessteilen überhaupt rechtens? Oder hat die Zertifizierung eines Subcontractors Auswirkungen auf den eigentlichen Auftragnehmer?
Die Fragen sind offen. Sie stellen sich auch deshalb, weil inzwischen die Kantone in ihren aktuellen Bestimmungen für «alle Aspekte des Betriebs (Sicherheit, Netzwerk, Leistung, Datensicherung, etc.)» Onedoc als zuständig angeben.

Branchenkenner: «stolzer Betrag»

Schliesslich haben wir beim BAG noch gefragt, wie sich der Preis von insgesamt fast 1 Millionen Franken zusammensetzt. Konkret wollten wir wissen, ob für die Online-Termin-Erfassungslösung abgesehen von der Skalierfähigkeit des Systems nur noch 2 Schnittstellen zum BAG und zu «meineimpfung.ch» gebaut werden müssen.
Stücheli teilt dazu zunächst mit: «Jedes IT-System, welches für die Impfdokumentation genutzt wird, muss einen Datensatz mit anonymisierten und aggregierten Daten für das Impf-Monitoring schicken können. Ausserdem ist erwünscht, dass diese Systeme über eine Schnittstelle auch an das myCOVIDvac-System angebunden sind, damit auf Wunsch der Patienten einfach und direkt ein elektronisches Covid-19-Impfdossier erstellt werden kann.»
Das heisse: «Onedoc wird diese zwei Schnittstellen umsetzen, ebenso auch andere IT-Lösungen, welche für die Impfdokumentation genutzt werden». Insgesamt unterstütze «das System Onedoc» die folgenden Prozesse in den Impfzentren: «Terminanfrage, Anmeldung, Terminvergabe, Aufgebot zur 2. Impfung». Zusätzlich umfasse es eine «einfache Reporting-Funktion und verwaltet die Menge der verfügbaren Impfdosen in einer Impf-Institution, damit keine Termine vergeben werden, ohne ausreichend Impfstoff zu haben», so der Sprecher weiter.
Der laut Branchenkennern «stolze Betrag» von 950'000 Franken ist weitgehend in die Skalierung, also den massiven Ausbau bestehender Funktionalitäten geflossen. Daneben wurde noch in die Security investiert und in die Verbesserung der Infrastruktur.
Dass trotz der Summe und der rund 4-monatigen Vorlaufzeit der Start derart misslang, setzt das BAG unter Druck. Stücheli verspricht nun, dass in Zukunft «die dafür vorgesehen Systeme einem Massenandrang standhalten sollten». Wünschenswert wäre zudem, den Beschaffungsprozess zu überprüfen und Klarheit bei den Zertifizierungen zu schaffen.

  • Dieser Beitrag ist zuerst auf dem IT-Nachrichtenportal «Inside IT» erschienen.

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