Die drei «N» der Hausarzt-Ausbildung: Nose - Nosy - Noisy!

Jürg H. Beer, Chefarzt am Kantonsspital Baden (KSB), plädiert für mehr Intuition, mehr Neugierde und mehr Aufmerksamkeit, um den Hausarztberuf für den Nachwuchs attraktiver zu machen.

, 29. April 2017 um 09:54
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Meine Monate in der Hausarztpraxis im 6. Studienjahr haben mich geprägt. Die Praxis Teuscher in Bern war damals visionär strukturiert, und viele Prinzipien gelten heute und in Zukunft: Vertrauen, Vorbild, frühe Selbstständigkeit, Mentoring weit über die Zusammenarbeit hinaus. 
Die alleinige Stellvertretung als Student in der Kooperation zwischen Praxis und Spital wird mir in lebendigster Erinnerung einer echt interdisziplinären (hochkomplexe Patienten) und interprofessionellen Zusammenarbeit (hervorragende, erfahrene Arztgehilfinnen, Pflege, Berater für Diabetes und Ernährung, Spezialisten im Spital) in Erinnerung bleiben: Heute «à la mode», damals einfach gemacht! Obiges Netzwerk hat viel zu meinen Problemlösungen und auch zu meiner Stressbewältigung beigetragen.
Ich bin überzeugt, wenn wir die folgenden 3 «N» beachten und diese auch in geeigneter Form unseren Jungen mit Herzblut mitgeben können (und wollen), dann sind wir für die Zukunft offen und gut gerüstet!
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    Der Autor

    Jürg H. Beer (60) ist stellvertretender CEO des Kantonsspitals Baden (KSB). Er ist seit 1997 Direktor und Chefarzt des Departements Innere Medizin am KSB. Ebenfalls ist er Titularprofessor der Universität Zürich sowie Forschungsgruppenleiter am Labor für Molekulare Kardiologie der Universität Zürich.

Nose

Das ist die Fähigkeit, eine gute Nase zu haben, einen sensiblen Geruchsinn zu entwickeln. Merken, wenn etwas dringend und wichtig wird, wenn die Intuition uns sagt, dass hier etwas schief läuft, sich etwas klinisch Aussergewöhnliches zusammenbraut, dass etwas nicht stimmt oder nicht zusammenpasst. 
Die rote Fahne in der rechten Hirnhälfte beginnt zu flattern - jeder langjährig klinisch erfahrene, insbesondere notfallerfahrene, breit ausgebildete Kollege kennt dieses Gefühl. Die Vermittlung der breiten, detaillierten klinischen Weiterbildung mit modernsten Tools, der aktuellen Guidelines, der Anleitung zum «lebenslänglichen Lernen», dem Analytisch-rationalen, Sequentiellen, braucht immer den intuitiven Partner und Cross-Check, der das Ganze sieht, das individuelle Lebens-Skript, die individuellen «Dos» und «Dont's», das Psychosoziale usw., die Betreuung und Beobachtung. 
Mehr als das, die Begleitung und das Coaching wird in der Ära der massiven Beschleunigung des Wissens und Könnens, der vielbemühten und gelegentlich verwirrenden Dr. Google, Dr. Robotnik, Dr. Big Data, Dr. Magic Diagnostics und Dr. Wonderdrug einen noch zunehmenden Stellenwert erhalten. 
Der moderne Grundversorger wird selbstverständlich alle obigen, sich rasch entwickelnden Tools in seine Tätigkeit mit guter Nase selektiv einbauen, die praktische Tätigkeit wird sich umfassend wandeln; der oben beschriebene (Geruchs-)Sinn fürs Ganze wird umso wichtiger werden. 

Das Rezept

Möglichst viele Patienten mit komplexen und auch seltenen Krankheitsbildern mit modernsten Methoden sehen und behandeln, unter kompetenter Anleitung und Führung eines Tutors und idealerweise Mentors. Dies braucht heute deutlich mehr Weiterbildungszeit. 
Dazu muss die Bereitschaft kommen, später als (Haus-)Arzt Patienten über eine längere Zeit persönlich zu begleiten und zu beraten, zu betreuen. Wir sind uns wohl bewusst, dass dies gerade für Gruppenpraxen zu einem organisatorischen Spagat wird, der durchaus auch mit elektronischen Hilfsmitteln und adäquater Stellvertretung klug zu lösen sein wird. Die Ansprüche der «Generation Z» werden auch dank den obigen Dres. Google und Robotnik in geeigneter Form berücksichtigt werden können. 

«Dadurch können 'Hausarztleuchttürme' geschaffen werden.»

Nosy

Nosy steht für positive, echte Neugier, für Neues, Lernbereitschaft, Offenheit für neue Konzepte der Zusammenarbeit, neue Methoden, Therapien und Hilfsmittel, Netzwerke auch, Die Erfahrungen aus anderen Institutionen und anderen Ländern zu integrieren, deren Schwierigkeiten und Chancen zu erkennen, wird wichtig sein. Bei uns muss auch etwa das Wahrnehmen des eigenen goldenen Käfigs einfliessen. Der Hausarzt wird einen «point fort» entwickeln, eine spezielle Stärke, ein «weiteres Bein», z. B. die Kaderarzterfahrung, die fortgeschrittene Ultraschalldiagnostik oder eine innovative neue Technik, die in der Praxis anwendbar ist. 
Die Teilzeitbeschäftigung in anderen Bereichen wird zunehmen, die Vernetzung mit «seinem» Partnerspital, sein «medizinisches Hobby» das mit Freude, genuiner Neugier (nosy-ness eben) kolumbusartige Entdecker-Kräfte und -Qualitäten freisetzt. Dadurch können «Hausarztleuchttürme» geschaffen werden. Nicht zuletzt wird die Hausarztmedizin 2025 weiterhin durch sehr gut aus- und weitergebildete Personen und Persönlichkeiten getragen werden, die sich durch ihre Innovationskraft ständig neu erfinden und dadurch als Vorbilder den bestmöglichen Nachwuchs anziehen können.

«Laut, hörbar und sichtbar sein, präsent sein über alle Medien und Kanäle.»

Noisy

Laut, hörbar und sichtbar sein, präsent sein über alle Medien und Kanäle. Ein gutes System und Konzept darf und soll sich bekannt machen. Natürlich empfiehlt sich der gute Hausarzt zunächst durch die Qualität seiner Arbeit. Aber in einer Zeit, in der ein «Spezialist» oder der Terminus «Privat» (-Klinik) oder das «Zentrum für XY» schon a priori einen gefühlten Bonus (und Preis) erhalten, sollen Breite der Ausbildung up to date sein. 
Der Coach, der Mentor, die Langzeitbetreuung, die Kontinuität, die Fähigkeit für «big decisions» nach Verarbeitung und Interpretation von Big Data, aber auch die Ansprechbarkeit und Verfügbarkeit, ein gutes Netzwerk zu haben, sollen wieder und weiterhin eine zentrale Rolle spielen. 
Die Wertschätzung, auch die finanzielle, für die echten «Langzeit-Kümmerer» bedarf eines Bewusstseins und eines Stellenwerts in der Bevölkerung, bei den Studenten und dem Kollegium, nicht zuletzt auch in der Politik.
Alte und neue sichtbare, funktionierende und erfolgreiche Modelle sind der Treibstoff dazu. Nicht zuletzt auch der gemeinsame Hausarztnotfall am KSB. Ich persönlich bin gerne weiterhin bereit, meinen täglichen Beitrag für die Aus-, Weiter- und Fortbildung zum Hausarzt zu leisten.
Quelle: «Argomed/Defacto»
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