Was uns Doktor Google kostet

Eine aktuelle These: Gesundheits-Infos aus dem Internet verstärken die Ängste, dies führt zu mehr Arztbesuchen. Also auch zu steigenden Kosten. Britische Mediziner fordern nun, dass vermehrt die Cyberchondria selber therapiert wird – statt einfach die befürchtete Krankheit.

, 30. November 2017 um 08:04
image
  • trends
  • prävention
  • public health
In England fordert eine Gruppe von Public-Health- und Präventiv-Medizinern, dass entschlossener gegen die «Cyberchondria» vorgegangen wird. Es handle sich um ein ernstzunehmendes und vor allem wachsendes Problem.
Konkret: Im Rahmen einer breiteren Studie über Verhaltensweisen von Patienten empfahlen die Wissenschaftler des Imperial College und des King’s College in London, dass wir diese Fälle nicht länger übersehen – sondern spezifische Therapien entwickeln und einsetzen.
Aufgrund diverser Studien kam das Team um den Psychiater Peter Tyrer zum Schluss, dass sich etwa einer von fünf Patienten in den englischen Ambulatorien wegen «health anxiety» selber eingewiesen habe – wegen einer Angst, die dazu führt, dass man seine Gesundheit übermässig beobachtet.

Wer sucht, der findet Schlimmes

Das Phänomen kannte man bekanntlich schon im Vor-Internet-Zeitalter. Aber auch wenn keine Zahlen vorhanden sind, so vermuten doch diverse Experten, dass es sich nun digital ausbreitet: Aus Hyperchondrie wird Cyberchondrie. Denn wer Symptome googelt, findet sie auch und wird eher beunruhigt.
«Durch die einfache Erreichbarkeit im Internet fühlen sich mehr Menschen verpflichtet, sich über ihre Gesundheit zu informieren, und sie werden dazu sogar durch Gesundheitsexperten ermutigt», sagt Peter Tyrer. «Das Problem ist nun, das die Symptome der Angst um die Gesundheit fehlinterpretiert werden als Symptome der beschrieben Krankheit selber. Die Patienten gelangen zu Ärzten, welche dann nach einer physischen Diagnose suchen, aber die geistige Ebene des Problems ignorieren.»


In England vermutete eine der Studienautorinnen, die Gesundheitsökonomin Barbara Barret vom King’s College, dass das Phänomen das NHS-System mindestens 420 Millionen Pfund pro Jahr kostet – also weit über eine halbe Milliarde Franken.
Und das sei noch nicht alles: Die Zahl umfasse lediglich die ambulanten Arztbesuche. Hinzu kämen beispielsweise noch anschliessende Labortests oder bildgebende Verfahren.

250 Millionen in der Schweiz?

Die stolze Geldsumme wäre allerdings ins Verhältnis zu setzen zu den Gesamtkosten, und die liegen im NHS-System bei 116 Milliarden Pfund. Umgerechnet auf die hiesigen Zustände wären wir also bei vielleicht 250 Millionen Franken, die sich (theoretisch) herauspressen liessen, wenn unnötige Arzt-, Ambulatoriums- oder Notfallbesuche aus purer Furcht wegfallen würden.
Um eine Lösung zu finden, nahmen die erwähnten Forscher eine Gruppe von 444 Personen, die gemäss einer persönlichen Befragung verstärkt unter health anxiety litten. Die Personen wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die einen erhielten eine normale ärztliche Betreuung und Behandlung, die anderen bekamen sechs Beratungssitzungen in einer Kognitiven Verhaltenstherapie – wobei ihre Ärzte über den Zustand und das Vorgehen unterrichtet waren.
Nach einem Jahr, so der Bericht, hatten sich die Ängste bei allen behandelten Patienten abgeschwächt, wobei auch Depressionssymptome tendenziell rückläufig waren. Eine Wirkung konnte, wenn auch abgeschwächt, nach fünf Jahren noch nachgewiesen werden. Besonders signifikant waren die positiven Resultate bei den Patienten kardiologischer Kliniken.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Das Medikament aus dem Kleiderschrank

Empa-Forschende haben Textilfasern entwickelt, die gezielt Heilmittel abgeben können.

image

Kritik am neuen Prostata-Test

Durchbruch in der Prostatakrebsprävention oder vor allem Marketing? Urologen sehen den neuen Stockholm 3-Test kritisch.

image

Studie: Unser Gesundheitswesen ist eine CO2-Schleuder

Der Gesundheitssektor verursacht fast 7 Prozent der Schweizer Treibhausgas-Emissionen. Im internationalen Vergleich steht die hiesige Branche nicht allzu sauber da.

image

Schwieriges Jahr für Regio 144

Weniger Einsätze und ein Minus von 114'228 Franken. Und eine Veränderung im Verwaltungsrat.

image

Migros kippt Hörgeräte und Brillen aus dem Angebot

Nach nur vier Jahren verkauft die Migros ihre Misenso-Filialen. Hörgeräte und Brillen sind der Migros medizinisch zu spezialisiert.

image

Das «Time Magazine» ehrt noch einen Schweizer

Fidel Strub verlor seine rechte Gesichtshälfte an die Tropenkrankheit Noma. Seit Jahren kämpft er für deren Erforschung.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.