«Computer können Ärzte nicht ersetzen»

Das zeigt eine Umfrage des FMH. Trotzdem muss sich die Ärzteschaft damit auseinandersetzen, welche Rolle digitale Technologien in der Medizin einnehmen sollen und dürfen.

, 15. September 2021 um 13:40
image
Bereits zum zweiten Mal hat der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH den «Digital Trends Survey» durchgeführt (siehe Text unten). Dazu wurden zwischen Oktober und November des letzten Jahres 507 ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte und 2096 Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz zu digitalen Trends in der ambulanten Gesundheitsversorgung «während der Behandlung» befragt. Ziel war es, die Bedürfnisse und die Erwartungen der Bevölkerung und der Ärzteschaft hinsichtlich dieser digitalen Trends zu durchleuchten, schreibt der FMH.

Das sind die wichtigsten Erkenntnisse:


  • Die Ärzteschaft und die Schweizer Bevölkerung sind davon überzeugt, dass es wichtig ist, die Möglichkeiten der digitalen Gesundheitsversorgung zu nutzen. 
  • In puncto Anwendung der digitalen Möglichkeiten sieht die Ärzteschaft allerdings Nachholbedarf. Ein Viertel der befragten Ärztinnen und Ärzte sind der Meinung, das gegenwärtige Potential der digitalen Gesundheitsversorgung auszuschöpfen, 2019 waren es noch mehr als doppelt so viele. 
  • Ein möglicher Auslöser für diesen Meinungswechsel ist die Covid-19-Pandemie: Die Krise hat die Schwierigkeiten beim Datenaustausch zwischen den verschiedenen Stakeholdern wie Gesundheitsfachpersonen oder Behörden klar aufgezeigt. Die Befragten sehen alle Handlungsbedarf in der Verbesserung der Verfügbarkeit und der Qualität der für die Covid-19-Pandemie relevanten digitalen Daten. 
  • Obwohl elektronische Krankengeschichten in Arztpraxen in den Einsatz kamen, ist der Austausch von pandemie-relevanten Daten mit hohem administrativem Aufwand verbunden und führt oftmals zu einer doppelten Buchführung bei den Ärztinnen und Ärzten, deren Kosten nicht gedeckt sind.

Künstliche Intelligenz ersetzt Ärzte nicht

Digitale Gesundheitsanwendungen gibt es viele. Welchen Nutzen aber sehen Ärztinnen und Ärzte sowie die Schweizer Bevölkerung in digitalen Gesundheitsanwendungen? Sehr geschätzt werden digitale Angebote, die administrative Prozesse vereinfachen. Hingegen ist das Interesse an digitalen Anwendungen, welche die ärztliche Kernleistung vollständig ersetzen sollen, gering. 
Dazu gehören der automatisierte Therapieentscheid durch ein intelligentes Computersystem oder Selbstuntersuchungsgeräte für Patientinnen und Patienten. Generell stuft die Ärzteschaft den Faktor Mensch als wichtig für den Behandlungserfolg ein, der nicht durch künstliche Intelligenz zu ersetzen ist. 
Auch Patientinnen und Patienten ist gemäss der Umfrage der persönliche Kontakt mit ihren Ärztinnen und Ärzten wichtig. So sagen 75 Prozent, dass die Digitalisierung mehr Zeit für die persönliche Behandlung durch die Ärztin schaffen soll. Gleichzeitig ist die Bevölkerung aufgeschlossen gegenüber hybriden Vorgehensweisen, bestehend aus konventionellen Methoden in Kombination mit digitalen Entscheidungshilfen.

Ungleiche Bedürfnisse bei Jung und Alt

In der Schweiz sind ältere Menschen sehr offen für digitale Möglichkeiten zur Dokumentation und zum Austausch mit Gesundheitsfachpersonen. Allerdings sind sie zurückhaltender, wenn es um den Einsatz von computergestützten Entscheidungshilfen oder digitalen Behandlungspfaden geht. 
Im Gegensatz dazu wünschen sich die Jüngeren nur noch knapp mehrheitlich den persönlichen Arztkontakt, fordern deutlich den Einsatz von computergestützten Entscheidungshilfen und können sich in vielen Bereichen eine digitale «Patient Journey» vorstellen.

Über die Hälfte will elektronische Patientendossiers

Die Offenheit der Bevölkerung für digitale Möglichkeiten zur Dokumentation und zum Austausch mit Gesundheitsfachpersonen zeigt sich auch in ihrer Bereitschaft ein elektronisches Patientendossier (EPD) zu eröffnen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist weiterhin daran interessiert, eines zu eröffnen. 
Auch ist die Bevölkerung mit der Leistung der Hausärztinnen und Hausärzte sehr zufrieden. Nur für ein Fünftel der Einwohnerinnen und Einwohner wäre es ein Grund, die Hausarztpraxis zu wechseln, wenn diese kein EPD anbieten würde. Die Bevölkerung vertraut der Hausärzteschaft, dass sie sorgfältig und vertrauensvoll mit ihren Daten umgeht und betrachtet sie als zuverlässigen Berater. 
Deswegen ist es für eine erfolgreiche Verbreitung des EPDs wichtig, dass die Ärztinnen und Ärzte eine aktivere Rolle einnehmen können, um das EPD mitzugestalten und sich für ein nutzbringendes EPD für Patienten und Ärzteschaft einzusetzen. Hierfür sollten sie als wichtige Stakeholder bei Entscheiden seitens Politik, Behörden und Kantonen einbezogen werden.

Lesen Sie auch: 

Junge besuchen Ihren Arzt gerne per Smartphone

Der Digital Trends Survey 2021

Die FMH hat 2021 zum zweiten Mal den «Digital Trends Survey» durchgeführt. Dieser soll die Bedürfnisse sowie den subjektiv empfundenen Nutzen der Ärzteschaft und der Bevölkerung hinsichtlich neuer digitaler Gesundheitsanwendungen abfragen. Er orientiert sich an der Patient Journey, die alle patientenseitigen Ereignisse vor, während und nach einem Arztbesuch umfasst. Der Schwerpunkt der diesjährigen Umfrage liegt auf digitalen Gesundheitsanwendungen «während der Behandlung», auch die Covid-19-Pandemie wurde thematisiert, während sich die Umfrage 2019 mit den Anwendungen «vor der Behandlung» beschäftigte.
Den «Digital Trends Survey 2021» von Verena Pfeiffer und Reinhold Sojer finden Sie hier
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Ein Oensinger Gesundheitszentrum betreibt den ersten «Medicomat» in der Schweiz

Das Gerät im Vitasphère-Gesundheitszentrum funktioniert wie ein Getränkeautomat. Doch statt Flaschen gibt der Automat rund um die Uhr Medikamente heraus.

image

Abnehmspritzen wirken – aber unabhängige Daten fehlen

Die Datenlage bei Abnehmspritzen ist einseitig: Fast alle Studien stammen von den Herstellern selbst. Forschende warnen vor Interessenkonflikten – und fordern unabhängige Langzeitstudien.

image

Offener Brief Nummer 2: Junge Ärzte verlieren die Geduld

Nach einem frustrierenden Treffen zum Stau beim SIWF kritisiert der VSAO die FMH-Spitze scharf. Der Verband fordert rasche Notmassnahmen – und findet, dass sonst der Bund eingreifen muss.

image

Uni Bern stärkt digitale Krebsforschung mit neuer Professur

Die Universität Bern richtet gemeinsam mit dem Inselspital eine Stiftungsprofessur für Clinical Cancer Informatics ein. Damit soll die Nutzung klinischer Krebsdaten verbessert werden.

image

Studie: Immuntherapie steigert Überlebenschancen bei Lungenkrebs

Eine Studie des Kantonsspitals Baden und des Unispitals Basel zeigt: Wenn Patienten mit Lungenkrebs schon vor der Operation eine Immuntherapie erhalten, überleben deutlich mehr von ihnen die ersten fünf Jahre.

image

SIWF: Präsidentin Monika Brodmann tritt zurück

Nach fast fünf Jahren an der Spitze legt Monika Brodmann Maeder ihr Amt nieder. Sie verweist auf strukturelle Hürden – grundlegende Änderungen seien derzeit nicht realisierbar.

Vom gleichen Autor

image

Kinderspital verschärft seinen Ton in Sachen Rad-WM

Das Kinderspital ist grundsätzlich verhandlungsbereit. Gibt es keine Änderungen will der Stiftungsratspräsident den Rekurs weiterziehen. Damit droht der Rad-WM das Aus.

image

Das WEF rechnet mit Umwälzungen in einem Viertel aller Jobs

Innerhalb von fünf Jahren sollen 69 Millionen neue Jobs in den Bereichen Gesundheit, Medien oder Bildung entstehen – aber 83 Millionen sollen verschwinden.

image

Das Kantonsspital Obwalden soll eine Tochter der Luks Gruppe werden

Das Kantonsspital Obwalden und die Luks Gruppe streben einen Spitalverbund an. Mit einer Absichtserklärung wurden die Rahmenbedingungen für eine künftige Verbundlösung geschaffen.