Chefs des Herz-Neuro-Zentrums Bodensee werden freigesprochen

Das Bezirksgericht weist die Anklage des Betrugs ab. Die Gerichtspräsidentin sieht die Beschuldigten jedoch als «Abzocker», die «skandalöse Gewinne» gemacht hätten.

, 12. Mai 2022 um 11:30
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Die Chefs der Herz-Neuro-Zentrum Bodensee AG in Kreuzlingen werden vom Vorwurf des «gewerbsmässigen Betrugs» freigesprochen. Bei den Angeklagten handelt es sich um Antoinette Airoldi, Vizedirektorin des Zentrums, um ihren Mann, den Geschäftsführer Martin Costa, sowie um den Klinikgründer Dierk Maass.
Wie die «Thurgauer Zeitung» (TZ) schreibt, gehen 15’000 Franken Gerichtsgebühr und Untersuchungskosten von 108’000 Franken zu Lasten der Staatskasse. Den Freigesprochenen stehe ausserdem eine «angemessene Entschädigung» zu.

Vorwurf: 2500 Stents überteuert in Rechnung gestellt

Wie Medinside im vergangenen Juli berichtet hatte, warf die Staatsanwaltschaft der Leitung des Herz-Neuro-Zentrums vor, den Krankenkassen über 2’500 Stents überteuert in Rechnung gestellt zu haben, und zwar über eine von den Klinikchefs gegründeten und geführten Handelsfirma.

Wie kam es zum Gewinn von 4,8 Millionen Franken?

Die Chefs des Herz-Neuro-Zentrums haben im Jahr 2005 nämlich die Einkaufsgesellschaft «Proventis» gegründet. Diese bezog Stents der Firma «Boston Scientific» zu deutschen Preisen und belieferte damit das Zentrum sowie deren Schwesterklinik in Konstanz, wie die TZ schreibt.
Dem Herz-Neuro-Zentrum seien aber Schweizer Preise verrechnet worden. Diese seien nur wenig tiefer gewesen als jene, die das Zentrum zuvor bezahlt habe, ist im Artikel der TZ zu lesen.
Die Einkaufsgesellschaft «Proventis» kam so von 2005 bis 2011 zu einem Gewinn von 4,8 Millionen Franken. Der Gewinn hätte aber laut der Staatsanwaltschaft der Allgemeinheit zugestanden. Die Staatsanwaltschaft stützte sich hier auf die Weitergabepflicht gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG).

Einziger Kunde der «Boston Scientific»

Das Gericht ist der Meinung, dass diese Pflicht für die Herz-Neuro-Zentrum Bodensee AG, aber nicht für die «Proventis» gelte.
Gemäss der TZ stellte die Gerichtspräsidentin die Annahme der Staatsanwaltschaft infrage, dass die Einkaufsgesellschaft nur zur Umgehung des KVG gegründet worden ist. Die «Proventis» habe auch andere Produkte als Stents gehandelt, so die Gerichtspräsidentin. Erst mit der Gründung der Einkaufsgesellschaft habe der Geschäftsführer Costa die tiefen Preise erhalten – und zwar als einziger Boston-Kunde der Schweiz.

Kein Betrug

Wie es im Artikel weiter heisst, bezweifelte das Gericht, dass die «Proventis» die Stents zum Tiefpreis an das Herz-Neuro-Zentrum Bodensee hätte weitergeben können, ohne den Boykott der Boston zu riskieren. Boston habe kein Interesse daran gehabt, dass die Preise publik wurden.
Auch wenn die «Proventis» und das Herz-Neuro-Zentrum als eine einzige Firma zu behandeln wären, wäre die unterlassene Weitergabe der Vergünstigung laut der Gerichtspräsidentin nicht strafbar, schreibt die TZ. Dazu fehle die sogenannte Garantenstellung, welche die Klinik dazu verpflichtet hätte. Von einem Betrug könne nicht gesprochen werden, da kein Schaden entstanden sei.

«Betrug am Volk»

Wie die TZ berichtete, war die Gerichtspräsidentin am Schluss noch auf die hohen Preisunterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz eingegangen. Die Staatsanwaltschaft habe «Betrug am Volk» geltend gemacht, sie sehe die Beschuldigten als «Abzocker auf Kosten der Versicherer». Sie hätten «skandalöse Gewinne» gemacht. Gemäss der Zeitung hat die Gerichtspräsident noch gesagt, das Gericht habe aber nur über die Strafbarkeit zu entscheiden: «Es obliegt dem Gesetzgeber, Gesetzeslücken zu schliessen.»
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