Das Gericht von Lausanne musste den heiklen Fall eines Neurochirurgen beurteilen. Seine Patientin litt an einer Zyste unter der Schädeldecke und war seit mehreren Monaten sehr müde. Die Zyste wurde erfolgreich entfernt, doch der Eingriff im Jahr 2015 nahm eine dramatische Wendung: Die Patientin erlitt eine schwere Komplikation am Auge. Nach einer Notüberweisung in die Augenklinik musste sie erneut operiert werden. Der Verlust des Auges konnte nicht verhindert werden.
Der Neurochirurg wurde wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung und wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung und Betrug angeklagt. Die Operation war ohne vorherige schriftliche Einwilligung nur mit einer mündlichen Beratung durchgeführt worden.
Dieses Detail ist entscheidend, da die Einwilligungserklärung des Patienten für den Arzt eine wichtige rechtliche Absicherung im Falle von Komplikationen ist. Offenbar merkte der Chirurg nach der Operation, was er versäumt hatte und verfasste nachträglich eine gefälschte Einwilligungserklärung.
Die Einwilligungserklärung
Die Patienten haben ein Recht auf Informationen über mögliche Vor- und Nachteile einer Behandlung und über alternative Behandlungen. Sie haben auch das Recht, in eine medizinische Behandlung einzuwilligen oder diese abzulehnen. Vor einer invasiven Untersuchung oder medizinischen Behandlung müssen die Ärzte die Zustimmung der Patienten in Form einer fundierten und freiwilligen Einverständniserklärung einholen.
«Ein Arzt muss auch beruhigen können»
Der Arzt verteidigte sich: «Kein Mensch auf der Welt lässt sich ohne seine Zustimmung am Schädel operieren. Wir haben die potenziellen Risiken besprochen, und ich habe wahrscheinlich Dinge erwähnt, die über die schriftliche Dokumentation hinausgehen.» Er fügte hinzu: «Die Patienteninformationen müssen vollständig sein und die Risiken aufzeigen, aber der Arzt muss auch beruhigen können.»
Die Folgen der Komplikation sind für die Patientin schwerwiegend: Schmerzen beim Tragen der Augenprothese, Reduzierung der Arbeitszeit, Beeinträchtigung ihrer Freizeit und mehr. Sie sagte: «Bei der Konsultation hat der Arzt kein Risiko erwähnt. Er beruhigte mich lediglich, indem er sagte, dass er diese Operation bereits durchgeführt habe. Ich hatte volles Vertrauen zu ihm. Wenn ich gewusst hätte, dass es ein Risiko gibt, hätte ich mich mit meinen Verwandten beraten und eine zweite Meinung eingeholt.»
«Inhärentes Risiko der chirurgischen Praxis»
Der mit der Untersuchung des Falls beauftragte Gerichtsgutachter erinnerte daran, dass «jeder chirurgische Eingriff dazu zwingt, die Risiken und Vorteile abzuwägen. In diesem Fall hat mein Kollege eine Entscheidung getroffen, die unglückliche Folgen hatte. Aber erst im Nachhinein kann man beurteilen, wie schwerwiegend diese Folgen waren.»
Der Neurochirurg wurde schliesslich von einigen Anklagepunkten freigesprochen. Die Komplikation wurde als ein «der chirurgischen Praxis inhärentes therapeutisches Risiko» betrachtet, und es wurde kein Verstoss gegen die Regeln der Kunst festgestellt. Der Arzt wurde jedoch wegen der Fälschung des Einwilligungsformulars zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Der Anwalt der Klägerin hat bereits angekündigt, dass er gegen das Urteil Berufung einlegen will.