BMI-Rechner: Unzuverlässige Beurteilung des gesunden Gewichts

Die zahlreichen BMI-Rechner der Spitäler im Internet sagen kaum etwas darüber aus, wie gesund jemand ist, sagen Fachleute.

, 25. September 2019 um 04:00
image
  • spital
  • ärzte
  • bmi
Viele Spitäler bieten einen BMI-Rechner im Internet an: Das Spital Thurgau genauso wie das Universitätsspital Zürich (USZ) und auch die Hirslanden-Spitäler haben einen. Doch seltsam: Im USZ wird ein BMI von 18 noch als Normalgewicht bewertet. Im Spital Thurgau braucht es dazu schon 18,5. Und im Kantonsspital Aarau sogar 19.

Auch BMI-Rechner für Amputierte

Dafür lässt sich mit dem Rechner des Kantonsspitals Aarau sogar der BMI bestimmen, wenn man bis zu zwei Gliedmassen amputiert hat. Der BMI-Rechner des Kantonsspitals Baden ist wiederum völlig simpel: Er berücksichtig weder das Geschlecht noch das Alter. Das ist wiederum nach Ansicht der Verantwortlichen des Migros-Gesundheitsprogramm Impuls ganz falsch. Gemäss dessen Rechner haben Frauen über 65 sogar erst mit BMI 24 ihr Normalgewicht.
Äusserst widersprüchlich zeigen sich da die Hirslanden-Kliniken: Einerseits schreiben sie, dass der BMI bei Senioren nicht angewendet werden könne, da Körpergrösse und -gewicht aufgrund individueller Entwicklungen in kein durchschnittliches Verhältnis gesetzt werden könnten. Doch etwas weiter unten raten sie Senioren ab 65 zu einem «optimalen BMI» zwischen 24 und 29.

Hirslanden rät Sportlern vom BMI-Berechnen ab

Dafür rät Hirslanden Sportlern gleich ganz ab, ihre Gesundheit mit dem BMI zu bewerten, «da die überdurchschnittliche Muskelmasse den Verhältniswert von Grösse und Gewicht verzerre.»
Der Grund, warum Spitäler überhaupt einen BMI-Rechner zur Verfügung stellen, dürfte bei einigen von ihnen das Werben um neue Patienten sein. Das Kantonsspital Baden schreibt etwa: «Besonders bei einem BMI von über 35 ist eine Operation nötig, um das Übergewicht abzubauen und so die Lebensqualität deutlich zu erhöhen.»

Werbung für Magen-Operationen

Unverhohlen wirbt das Spital dann gleich für seine Magenoperationen: «Hierdurch verlieren Patienten im Schnitt etwa zwei Drittel ihres Übergewichts. Auch Begleiterkrankungen können so deutlich gelindert oder gar geheilt werden.»
Ob tatsächlich ab einem BMI von 35 «eine Operation nötig» ist, ist sehr umstritten. In Tat und Wahrheit setzen nur die Krankenkassen diese Grenze: Ab BMI 35 übernimmt die Grundversicherung die Kosten der Operation.

Ernährungsfachfrau hält wenig vom BMI

Die Ernährungsberaterin Beatrice Conrad, Autorin des Buches «Ist essen gesund?», hält nicht viel von BMI-Rechnern. «Wenn der BMÎ überhaupt etwas aussagt, dann gibt er höchstens einen kleinen Anhaltspunkt», sagt sie. Das zeige sich nur schon durch die verschiedenen Interpretationen des BMI.
Immerhin, so die Spezialistin, sei der BMI als Messmethode besser als früher der so genannte Broca-Index, der die Grösse minus 100 als Idealgewicht für Männer und nach Abzug von 15 Prozent als Idealgewicht für Frauen definierte.

Auch relativ tiefer BMI kann ungesund sein - wenn das Fett im Bauchraum liegt

Für eine genauere Beurteilung des Gewichts braucht es laut Beatrice Conrad weitere Daten: Etwa das Verhältnis von Hüft- und Taillenumfang oder die Körperfettzusammensetzung. «Wenn das Übergewicht vor allem um die Hüften liegt, kann das eine gute Reserve für schlechte Tage sein», erklärt sie. «Personen, die alles Fett im Bauchraum ansetzen, haben hingegen auch mit einem relativ tiefen BMI schon ein höheres Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen.»
Ihr Fazit: Auf den BMI sollten sich weder Laien noch Ärzte verlassen, findet sie. Dies erst recht nicht, wenn es darum geht, ob eine Magenoperation nötig sei oder nicht.

CHUV operiert erst ab BMI 40 

Denn genauso, wie sich die Spitäler bei der Interpretation ihrer BMI-Rechner nicht einig sind, sind sie es auch nicht, wenn es darum geht, ab welchem BMI eine Operation nötig ist.
Das Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) in Lausanne empfiehlt zum Beispiel erst ab BMI 40 eine Operation. Das heisst, ein Mann, der 180 cm gross ist, käme in Lausanne erst ab einem Gewicht von 130 Kilo unters Messer. Im Kantonsspital Baden(KSB) hingegen, würde er bereits mit 114 Kilo operiert.
Das Adipositaszentrum des KSB betont allerdings, dass eine Operation nur die letzte Möglichkeit darstelle. Zuerst versuche das Zentrum, das Übergewicht mit anderen Methoden - Ernährungsberatung, Bewegungs- oder Verhaltenstherapie - zu behandeln.

Das ist der BMI

Der Body-Mass-Index, kurz BMI, bewertet das Körpergewicht eines Menschen in Relation zu seiner Körpergrösse. Berechnet wird er folgendermassen: Das Gewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergrösse in Metern im Quadrat. Der BMI wird in der Masseinheit kg/m² angegeben.  

Der Index berücksichtigt weder Statur und Geschlecht noch die individuelle Zusammensetzung der Körpermasse aus Fett- und Muskelgewebe.
Gemäss der Adipositas-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegen die Werte von normalgewichtigen Erwachsenen zwischen 18,5 kg/m² und 24,99 kg/m². Ab einer Körpermassenzahl von 30 kg/m² gelten übergewichtige Personen als behandlungsbedürftig.
Weil diese Werte viel zu allgemein sind, gibt es zahlreiche BMI-Rechner, die auch noch andere Werte wie etwa das Geschlecht oder das Alter mit einbeziehen. Trotzdem wird der BMI damit nicht wesentlich aussagekräftiger.

Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Basel: Adullam-Stiftung engagiert Jörg Leuppi

Der CMO des Kantonsspitals Baselland wird Stiftungsrat bei der Organisation für Altersmedizin.

image

USZ macht Verlust von 49 Millionen Franken

Verantwortlich dafür sind unter anderem inflations- und lohnbedingte Kosten. Zudem mussten Betten gesperrt werden.

image

Auch das KSW schreibt tiefrote Zahlen

Hier betrug das Minus im vergangenen Jahr 49,5 Millionen Franken.

image

...und auch das Stadtspital Zürich reiht sich ein

Es verzeichnet einen Verlust von 39 Millionen Franken.

image

Kantonsspital Olten: Neuer Chefarzt Adipositaschirurgie

Urs Pfefferkorn übernimmt gleichzeitig die Führung des Departements Operative Medizin.

image

SVAR: Rötere Zahlen auch in Ausserrhoden

Der Einsatz von mehr Fremdpersonal war offenbar ein wichtiger Faktor, der auf die Rentabilität drückte.

Vom gleichen Autor

image

SVAR: Neu kann der Rettungsdienst innert zwei Minuten ausrücken

Vom neuen Standort in Hundwil ist das Appenzeller Rettungsteam fünf Prozent schneller vor Ort als früher von Herisau.

image

Kantonsspital Glarus ermuntert Patienten zu 900 Schritten

Von der Physiotherapie «verschrieben»: In Glarus sollen Patienten mindestens 500 Meter pro Tag zurücklegen.

image

Notfall des See-Spitals war stark ausgelastet

Die Schliessung des Spitals in Kilchberg zeigt Wirkung: Nun hat das Spital in Horgen mehr Patienten, macht aber doch ein Defizit.