Zwischen Hierarchie und Alltag: Sexuelle Belästigung in der akademischen Medizin

Eine breit angelegte Erhebung an deutschen Universitätskliniken legt nahe, dass sexuelle Belästigung oft Realität ist. Dabei spielen nicht nur Geschlecht und Alter eine Rolle, sondern auch die Teamkultur und Organisationsform.

, 10. Juli 2025 um 11:20
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Eine Chirurgin packt aus: Screenshot der RTS-Reportage «Harcèlement à l'hôpital, silence sous la blouse», Februar 2025.
Einzelfälle oder Systemproblem? In Deutschland erfasste eine Querschnittstudie sexuelle Belästigung in der akademischen Medizin. Dabei wurden Befragungen an den Universitätsspitälern von Ulm, Freiburg, Tübingen und Heidelberg durchgeführt. Knapp 1'500 Ärztinnen und Ärzte sowie 2'500 Pflegefachleute trugen Antworten bei.
Die Teilnehmer wurden gefragt, ob sie in den vergangenen 12 Monaten sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt hätten. Die Zahlen erscheinen überraschend hoch: 74 Prozent der befragten Ärztinnen, 51 Prozent der Ärzte, 77 Prozent der Pflegefachfrauen und 68 Prozent der Pflegefachmänner gaben an, dass sie mit «sexual harassment» – sexualisierter Belästigung – im beruflichen Umfeld konfrontiert waren.
  • Vera Clemens, Marco Kuchenbaur, Claire Richter, et al.: «Sexual Harassment in Academic Medicine in Germany», in: JAMA Open, Juni 2025.
  • doi: 10.1001/jamanetworkopen.2025.18237
Allerdings erfasste die Erhebung das Phänomen recht breit: Gefragt wurde beispielsweise nach «sexuellen Andeutungen» oder ob Geschichten mit sexuellem Inhalt erzählt worden seien. Der grösste Teil der Übergriffe wurde als non-physisch beschrieben; physische Übergriffe waren seltener, wurden jedoch als bedrohlich empfunden: Einen sexuellen Angriff («sexual assault») meldeten 1,4 Prozent der Ärztinnen und 4,2 Prozent der Pflegerinnen.
Das Beispiel zeigt das bekannte Grundmuster: Übergriffe von männlichen Kollegen sind häufiger, zumal gegenüber Frauen. Und dabei spielt auch eine hierarchische Komponente hinein.

Risikofaktor chirurgischer Anteil

Ärztinnen und Pflegekräfte wurden häufiger von Patienten und männlichen Ärzten sexuell belästigt, Pflegepersonen indes öfter von Kollegen.
Als Risikofaktoren für sexuelle Belästigung erwiesen sich weibliches Geschlecht, Alter unter 40, Arbeit in einer klinischen Abteilung (insbesondere mit überwiegend chirurgischem Anteil), eine stärkere Hierarchie. Bei Pflegekräften waren ein höherer Männeranteil im Team und ein männlicher Teamleiter verstärkt mit sexueller Belästigung assoziiert.
Non-physische Belästigungen empfanden gut drei Viertel der Betroffenen (76 Prozent) als belästigend. Was einmal mehr zeigt, dass die Zote immer ein schlechter Scherz ist.

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