Die Abnehmkarte: Wer stark auf die Spritze setzt – und wer weniger

Medikamente zur Gewichtsreduktion sind in der ganzen Schweiz auf dem Vormarsch – aber nicht überall gleich stark. Im Tessin werden sie viermal eifriger genutzt als im Appenzell.

, 5. Juni 2025 um 10:25
letzte Aktualisierung: 9. Juli 2025 um 05:44
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Verwendung von GLP-1-Rezeptor-Agonisten: Unterschiede nach Kantonen. Tagesdosen DDD pro 1000 Einwohner  |  Grafiken: Obsan.
Bekanntlich erleben diverse Medikamente zur Gewichtsregulierung, die ursprünglich zur Behandlung von Diabetes entwickelt wurden, derzeit bei übergewichtigen Menschen einen enormen Aufschwung. Das Gesundheitsobservatorium Obsan veröffentlicht jüngst Daten zur Verwendung – insbesondere von Schlankheitsspritzen der Klasse der GLP-1-Rezeptor-Agonisten, also beispielsweise von Wegovy.
Demnach verdoppelte sich der Verbrauch solcher «Schlankheitsspritzen» von 7 Millionen definierten Tagesdosen (DDD) im Jahr 2023 auf über 16,5 Millionen DDD im Jahr 2024. Dieser Anstieg führt zu Gesamtkosten von knapp 56 Millionen Franken im letzten Jahr –  gegenüber fast 28 Millionen Franken im Vorjahr.

Kantonale Unterschiede

Bemerkenswert sind dabei die kantonalen und regionalen Unterschiede. Am meisten nachgefragt werden Wegovy, Ozempic & Co. im Tessin und in Neuenburg (mit 8,3 bis 8,4 standardisierten DDD pro 1'000 Einwohner pro Tag). Auf der Gegenseite verzeichnen Appenzell Innerrhoden und Graubünden Werte zwischen 2,1 und 2,8 DDD: Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt hier also etwa viermal tiefer.
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Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Die Landkarte zeigt eine gewisse Ost-West-Verlagerung beziehungsweise eine tendenziell höhere Nutzung der Appetitzügler in lateinischen Regionen. Andererseits scheint die Zurückhaltung in ländlichen und bergigen Gebieten etwas grösser.
Interessant wäre es, kulturelle Parallelen zum Einsatz von Antibiotika zu erkunden (wo die lateinische Schweiz ebenfalls zu höherem Konsum neigt). Und ganz allgemein scheint eine Übereinstimmung mit den Gesundheitskosten allgemein zu bestehen. So ist das Tessin auch Spitzenreiter bei der Prämienbelastung – während Appenzell Innerrhoden hier am günstigsten ist.
Der von der Obsan-Analyse verwendete Datenpool erfasst nur Leistungen, die im Rahmen der Grundversicherung (OKP) in Rechnung gestellt werden. Dies schliesst also beispielsweise Fälle aus, in denen Patienten wegen hoher Selbstbehalte ihre Rechnungen nicht weiterleiten. Die Studie enthält auch keine Medikamente, die – wie Mounjaro (Tirzepatid) – nicht erstattungsfähig sind, sowie keine Produkte, die «off-label» verwendet werden.

Wegovy-Effekt

Der Anstieg des Konsums erfolgte parallel zur Zulassung von Wegovy zur Gewichtsabnahme sowie zur teilweisen Rückerstattung durch die Grundversicherung seit dem Frühjahr 2024. Laut dem Kassenverband Prioswiss wurden von Mai bis Oktober 2024 Rückerstattungen in Höhe von 43 Millionen Franken angemeldet.
Wenig erstaunlich erscheint ein weiteres Ergebnis: Frauen erhalten die Injektionen viel häufiger verschrieben. Hier scheint das Bewusstsein – beziehungsweise der Leidensdruck – grösser zu sein, denn laut der Schweizerischen Gesundheitsbefragung finden sich Übergewicht und Adipositas häufiger bei Männern (52 Prozent) als bei Frauen (34 Prozent).
«Frauen unterliegen stärker dem aktuellen Schönheitsideal, sind häufiger unzufrieden mit ihrem Gewicht und suchen eher einen Arzt auf», kommentierte Gabriela Fontana von der Allianz Obesitas gegenüber Radio SRF die Ergebnisse.
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