Die Fusion von Shopping und Arztpraxis gelangt nun auch in Deutschland auf eine weitere Stufe: In einem Supermarkt der Lebensmittelkette Kaufland in Mosbach, Baden-Württemberg, wurde jetzt ein «Medical Room» eröffnet. Das ist eine kleine Telemed-Praxis, 54 Quadratmeter gross, wo die Patienten eine Kabine aufsuchen können. Per Video erhalten sie dann eine Sprechstunde mit einen Arzt.
Vor Ort arbeiten auch medizinische Fachangestellte, die in Abstimmung mit den Telemed-Ärzten gewisse Schritte übernehmen können.
Das Angebot soll insbesondere auch für Nachkontrollen nützlich sein,
teilt das Kaufland-Management mit. Zudem werden im Supermarkt-Rahmen sogenanntes Lifestyle-Check-ups angeboten.
Kaufland gehört zur Schwarz-Gruppe, die hierzulande durch ihre Hauptmarke Lidl bekannt ist. Betrieben wird der «Medical Room» durch die Klinikgruppe
Sana.
«One-Stop-Shopping»
In Mosbach – einem Ort mit rund 20’000 Einwohnern – soll das Pilotprojekt auch helfen, eine Versorgungslücke zu schliessen.
Auf der anderen Seite strebt Kaufland in seinen Filialen einen «One-Stop-Shopping-Ansatz» an: Der Konzern ergänzt seine Supermärkte mit Angeboten, «die unseren Kunden neben dem Wocheneinkauf einen zusätzlichen Mehrwert bieten», sagt René Wolf, Leiter Vermietung bei Kaufland: «Dafür gehen wir gerne neue Wege. Mit dem Pilotprojekt in unserer Filiale in Mosbach sammeln wir derzeit Erfahrungen, um zu verstehen, wie unsere Kunden das Angebot annehmen und wie sich das Modell im Alltag bewährt. Die Ergebnisse dieses Praxistests werden uns zeigen, ob und unter welchen Bedingungen eine Ausweitung des Konzepts auf weitere Standorte sinnvoll ist.»
Problem Kiosk
So logisch solche Ideen auch klingen: Ohne Friktionen geht die Annäherung von Detailhandel und Grundversorgung selten ab. Als schwieriges Beispiel zu erwähnen wären die
Gesundheitskioske, die der ehemalige SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach in Deutschland ausrollen wollte. Darin bieten Pflegefachleute erste Beratung und Präventionsangebote – wobei zum Konzept auch gehört, dass diese «Kioske» in Einkaufszentren und -zonen entstehen: Gesundheit als
Angebot neben dem Shopping.
Zwar gibt es inzwischen einige Gesundheitskioske in einigen Bundesländern, aber der Plan, das niederschwellige Konzept flächendeckend auszurollen, ist inzwischen gescheitert. Dies erklärt sich teils mit einer Zurückhaltung des Publikums – und teils damit, dass die Krankenkassen sich kaum für die Idee engagierten.
USA: «Challenging»
In den USA ist die Vermischung von Detailhandel und Hausarzt-Betreuung ohnehin weiter fortgeschritten, etwa mit zahllosen so genannten
«Retail Clinics», wo teils auch nicht-ärztliches Gesundheitspersonal bei kleineren Verletzungen und Standardkrankheiten hilft. Die Supermarkt-Kette Target betreibt beispielsweise 78 eigene «Target Clinics».
Allerdings: Walmart, der grösste Detailhandelskonzern der Welt, verkündete letztes Jahr die Schliessung seiner 51 «Health Centers» in Amerika; der Walmart-Telemedizin-Dienst wurde ebenfalls eingestellt. Die «Entschädigungs-Umgebung» sei «herausfordernd», schrieb Walmart. Und die steigenden Betriebskosten würden es erschweren, anständige Margen zu erzielen.
Dies wiederum deutet an, dass das Grundversorgungs-Geschäft bei kleineren Organisationen vielleicht besser aufgehoben ist als bei Giganten wie Walmart.
Health Food per Delivery
Andererseits offerieren Retail-Unternehmen wie beispielsweise Costco und Amazon ihren Treuekarten-Besitzern inzwischen auch einen günstigen (Selbstzahler-)Telemed-Dienst.
Auf der Gegenseite entwickeln Klinikkonzerne Diätprogramme, die sie dann über Partner-Lebensmittelketten standardisiert verkaufen – so dass sie ihre Patienten nur noch in den Supermarkt schicken können. Quasi mit einem Rezept im doppelten Sinn.
Beispielsweise hat die Food-Delivery-Firma Instacart eine Partnerschaft mit dem Boston Children’s Hospital sowie den Mount-Sinai-Spitälern begonnen; dabei liefert sie passende Menus an Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes oder Nierenproblemen.
Das Beispiel Kaufland zeigt jedenfalls, dass Retailer im Telemed-Bereich eine zunehmend grössere Rolle erlangen dürften. Das US-Beispiel dazu: Der Elektronikhändler Best Buy (eine Art amerikanischer Media Markt) übernahm im Auftrag von Spitalkonzernen wie Atrium Health oder dem General Brigham Hospital die Installation der Medizinalgeräte, welche Hospital@Home- und Pflege-Patienten zuhause benötigen.
In einem Pilotprojekt mit dem Klinikkonzern Geisinger Health verantwortet Best Buy auch die Überwachung und das Monitoring von Bluthochdruck-Patienten.