Das Institut für Versicherungswirtschaft der
Universität St. Gallen hat bei 18 Schweizer Krankenversicherern nachgefragt, wo der Schuh am meisten drückt. Die beteiligten Firmen repräsentieren mit ihren Kunden etwa die Hälfte der Schweizer Bevölkerung; beauftragt wurde die Studie von Santésuisse.
Die Schweiz habe ein sehr gutes Gesundheitssystem mit einem sehr hohen Leistungsniveau, schreiben die Wissenschaftler um
Martin Eling. Anlass zu politischen Diskussionen gebe aber bekanntlich die Frage, wie die Gesundheitsvorsorge kosteneffizienter gestaltet werden könne. Auch die Befragung bestätigt: Die Sorgen der Krankenkassen drehen sich in erster Linie um die Kosten – und damit um die Effizienz des Systems.
Grösste Herausforderung: die Alterung
Der Renteneintritt der Babyboomer in den nächsten Jahren habe enorme Auswirkungen auf das Gesundheitswesen. Die Themen Langzeitpflege und altersbedingte Krankheiten wie etwa Alzheimer führten in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren zu Mehrkosten in Milliardenhöhe, erwarten die Kassen.
Wobei laut der Studie weitgehend unbestimmt ist, wie diese Mehrkosten von der Gesellschaft adäquat aufgefangen werden können. Aber auch den medizinisch-technologischen Wandel, der vielen Menschen ein langes Leben bei guter Gesundheit ermögliche und zugleich sehr teuer sei, erachten die Versicherer als grosse Herausforderung. «Ein derart gutes Gesundheitssystem zu geringeren Kosten ist vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen kaum machbar», erklärt Studienautor Martin Eling.
Fünf politische Handlungsfelder
Zugleich zeigt die Studie politische Massnahmen auf, die aus Sicht der befragten Unternehmen eine Kostensteigerung in einem vernünftigen Rahmen halten könnten.
Auf fünf Feldern sehen die Krankenversicherer den grössten politischen Handlungsbedarf – aufgelistet nach der Bedeutung, welche ihnen zugemessen wird:
- 1. Regulierung. Die befragten Firmen empfinden sie mehrheitlich als zunehmende schwerwiegende Last. Bemängelt wird beispielsweise, dass viele Krankenversicherer von mehreren Behörden gleichzeitig beaufsichtigt werden oder den Versicherern nur wenige Instrumente zur Beeinflussung der Kosten zur Verfügung stünden.
- 2. Anspruchshaltung. Kunden und Leistungserbringer im Gesundheitssektor haben Anreize, mehr Leistungen zu erbringen und zu beziehen als nötig. Für die Versicherer bietet also der Bereich Mengenausweitung ein wichtiges Handlungsfeld; allerdings sind die Möglichkeiten der direkten Beeinflussung gering.
- 3. Finanzierungsgerechtigkeit. Den grössten politischen Handlungsspielraum sehen die Versicherer in Fragen der Finanzierbarkeit und der Finanzierungsgerechtigkeit. So seien etwa junge Familien erheblichen Belastungen ausgesetzt, die vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit zu hinterfragen seien.
- 4. Innovation. Die Kassen erachten es weiter als wichtig, dass die Politik Rahmenbedingungen schafft, welche die Entwicklung kosteneffizienter Innovationen im Gesundheitswesen fördern und belohnen. Beispielhaft werden die Themen E-Health oder Automatisierung der Prozesse im Krankenversicherungsbereich sowie auf Ebene der Leistungserbringer erwähnt. So soll etwa die Datenqualität im Gesundheitsbereich gezielt verbessert werden.
- 5. Rolle der Kantone. Auch mangelhafte institutionelle Strukturen, insbesondere Fehlanreize auf Ebene der Kantone, werden als relevantes Handlungsfeld genannt. Die Chancen, dieses Themenfeld in einer politischen Diskussion zu vertiefen, erachten die Versicherer allerdings eher als gering.
Die Resultate der Marktbefragung zeigen schliesslich: Den Versicherern geht es nicht um eine pauschale Diskussion – im Sinne von «weniger Regulierung» oder «mehr Wettbewerb», sondern um eine differenzierte Auseinandersetzung zu Wirksamkeit und Effizienz im Gesundheitswesen.