Können Sie sich das vorstellen: Die Patienten sehen jeden Eintrag des Arztes, jede Notiz in ihrem Dossier. Sie haben immer Zugriff darauf. Und wenn der Arzt sonst – in ihrer Abwesenheit – etwas dazu einträgt, erhalten sie eine automatisierte Nachricht.
Die Idee hat offenbar eine Reihe sehr positiver Aspekte; dies besagt jetzt eine Untersuchung von Forschern in Deutschland und den USA. Deren Fazit: Erhalten Patienten vollen Zugriff auf ihre medizinischen Befunde und die Notizen des Arztes, verbessert dies die Arzt-Patienten-Beziehung erheblich. «Wir waren wirklich baff, als wir die Daten ausgewertet haben», sagt einer der beteiligten Mediziner, Tobias Esch von der Universität Witten Herdecke,
gegenüber dem Fachdienst «Medscape».
Konkret beobachteten Esch und sein Team den Einsatz des
«OpenNotes»-Projekts, das in den USA 2010 als Studie begann, wegen guter Resultate fortgesetzt wurde und inzwischen 5 Millionen Patienten einbezieht.
Mehr Transparenz gleich mehr Verständnis
Die jetzt vorgenommene Bestandesaufnahme bestätigt, dass die Transparenz über die «offenen Notizen» auch das Verständnis für die ärztliche Arbeit beziehungsweise die therapeutischen Massnahmen fördern.
«Dadurch, dass die Patienten alles noch einmal nachlesen und auch die Notizen der Ärzte online einsehen können, haben sie die Möglichkeit, sich noch intensiver mit dem Thema zu beschäftigen, etwas noch einmal nachzulesen oder mit Angehörigen und Bekannten darüber zu sprechen», so eine Erklärung von Tobias Esch.
Die Forscher aus Witten/Herdecke und Harvard hatten zuvor rund 1'000 Patienten nach ihren Opennotes-Erfahrungen befragt; und nochmals knapp 200 Patienten gaben danach in längeren Interviews Auskunft. Die wichtigsten Ergebnisse:
- Während bekanntlich etwa die Hälfte der Patienten beim Arztbesuch nicht genau versteht, was besprochen wird, haben die «Opennotes»-Patienten durchwegs das Gefühl, den Arzt verstanden zu haben.
- Dass die Patienten dank der Digital-Akte auch die grossen Linien ihres Krankheitsverlaufes ablesen konnten, wirkte für eine grosse Mehrheit vertrauensbildend.
- Mehrheitlich gaben die Patienten an, dass sich mit Opennotes das Verhältnis zum Arzt verbessert habe.
- 77 Prozent der Patienten meinten, nun eine grössere Kontrolle über ihre Behandlung zu haben als zuvor.
- Eine Zweidrittels-Mehrheit konnte durch das Programm ihre Medikation korrekt oder besser dosieren.
- Einige Patienten gaben zudem zu, zuvor Informationen zum Schutz ihrer Privatsphäre zurückgehalten zu haben. Erst durch die Opennotes-Zusammenarbeit und die Einsicht in die Unterlagen sei ihnen klar geworden, dass diese Informationen zur Behandlung wichtig seien.
- Besonders bemerkenswert: Fast alle Befragten fanden mindestens einmal einen Irrtum oder ein Missverständnis in den Unterlagen, das sie dank der freien Zugänglichkeit schnell korrigieren lassen konnten.
«Solche Fehler hatten oft mit der Medikamenten-Einnahme zu tun und können somit durchaus als medizinisch relevant eingestuft werden», so Tobias Esch gegenüber «Medscape».