Auch der Verfasser dieses Beitrags war zugegeben etwas irritiert, als bei einer Untersuchung ein Oberarzt der Neurologie mit Tattoos auf dem Oberarm vor ihm stand. Ich habe mich damals unbewusst gefragt, ob ein tätowierter Mediziner womöglich die (subjektiv) wahrgenommene Kompetenz oder Professionalität zu untergraben vermag? Ähnliche Bedenken oder Vorurteile teilen offenbar auch die Spitalleitungen, indem sie restriktive Vorgaben an die Ärzte und das Pflegepersonal stellen.
Fakt ist anderseits aber auch: Tätowierungen sind in den letzten Jahren mehr und mehr salonfähiger geworden. Die jüngere Generation trägt heute sichtbar Körperschmuck (Body Art). Und vermutlich werden deshalb auch tätowierte oder gepiercte Ärzte von morgen ihre Patienten begrüssen. Es ist vielleicht an der Zeit, hier langsam umzudenken. Eine Bemerkung am Rande: Auch Dr. med. Daniel Koch, der Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheit beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), ist bekanntlich tätowiert.
Erste Studie im klinischen Umfeld
Denn wahrscheinlich sind Bedenken und Vorurteile ungerechtfertigt. Dies zumindest zeigt auch eine aktuelle Studie aus den USA. Diese kommt zum Schluss: Körperkunst scheint aus Patientensicht keinen erkennbaren Einfluss auf die Professionalität oder Kompetenz eines Arztes zu haben.
Zwar gibt es bereits zahlreiche Studien und Erhebungen zu Dress-Codes bei Ärzten. Bei den meisten ging es aber bislang um Bilder von tätowierten Medizinern, welche die Probanden vorgelegt erhielten. Doch dieses Mal wurde erstmals im klinischen Umfeld geprüft.
Eine Gruppe Mediziner um Rebecca Jeanmonod vom St. Luke’s University Health Network in den USA hat mit einer Gruppe von drei Ärztinnen und vier Ärzten gearbeitet: Diese trugen abwechselnd (abwaschbare) Tattoos am Arm (Bild), provisorische Nasenstecker für Frauen oder für Männer abnehmbare Ringe (Hoop) in der Mitte des Ohres. Die sieben Ärzte veränderte währende mehreren Monaten so regelmässig den Look: etwa mit Tattoo und Piercing, mit Piercing ohne Tattoo usw.
Eigene Darstellung, Quelle: EMJ
Auch ältere Patienten nehmen keinen Unterschied wahr
Die Mediziner behandelten während der Erhebung insgesamt über 920 Menschen. Geprüft wurde in einer grossen Notaufnahme mit Patienten, die unterschiedlich dringliche Erkrankungen hatten. Im Anschluss wurden den Probanden Fragen vorgelegt. Der Fragebogen selbst wurde anonym ausgefüllt und nahm keinen expliziten Bezug auf die generelle «Körperschmuck-Frage».
Signifikante Unterschiede zwischen den vier Gruppen konnten die Wissenschaftler nicht feststellen. Auch bei den in Bildung, Alter oder Geschlecht unterteilten Subgruppen gibt es keine Hinweise, dass sich die Wahrnehmung von Tattoos oder Piercings vom traditionellen Ärzte-Look unterscheidet.
Marissa Cohen, Donald Jeanmonod, Holly Stankewicz, Keith Habeeb, Matthew Berrios, Rebecca: «An observational study of patients’ attitudes to tattoos and piercings on their physicians: the ART study», in: «Emergency Medicine Journal». Juli 2018Ein Totenkopf auf dem Oberarm?
Die Studienautoren erwähnen schliesslich aber auch einige Einschränkungen der Resultate: So umfasse die Erhebung relativ wenig Ärzte – zusätzlich zum speziellen Umfeld in einer Notaufnahme. Auch das Bewusstsein bei den Medizinern mit dem Fake-Körperschmuck könnte zu einem veränderten Verhalten der Ärzte geführt haben.
Offen bleibe auch die Frage, wie viele Probanden die Tattoos oder Piercings überhaupt wahrgenommen haben. Aber vielleicht ist es so oder so an der Zeit, die restriktive Vorgaben in Spitälern und Praxen einmal zu überdenken. Natürlich kommt es aber auch immer auf die Grösse oder auf die Motivwahl an.
Was denken Sie – als Arzt, als Pflegepersonal, als HR-Verantwortlicher oder Mitarbeiter in der Spitalverwaltung?
- Wenn Sie an der ganzen Studie interessiert sind, können Sie diese im PDF-Format unter info@medinside.ch anfordern. Betreff: Study – tattoos and piercing on physicians.