Im ersten Halbjahr 2018 sanken die Kosten pro Arztkonsultation im Schnitt um zehn Prozent. Doch im gleichen Zeitraum haben die Arztkonsultationen um elf Prozent zugenommen. Dies belegen offenbar Zahlen, die der Krankenkassenverband Santésuisse
auf Anfrage der Zeitung «Sonntags Blick» zusammengestellt hat.
Santésuisse-Geschäftsführerin Verena Nold hat für diesen Anstieg kein Verständnis: «Die Behandlungszeit ist angemessen, um die Patienten optimal zu betreuen, sagt sie der Zeitung. Es gehe um medizinische Leistungen, diese müssten im Zentrum stehen. «Für anderes ist der Arzt nicht zuständig», so Nold weiter. Maximal 20 beziehungsweise 30 Minuten pro Sitzung dürfen Haus- und Kinderärzte seit Anfang des Jahres in der Regel noch aufwenden.
«Selbstbedienungsmentalität?»
Verrechnen die Ärzte also einfach mehr Konsultationen, um die Zeitlimiten zu umgehen? Fast neun von zehn Haus- und Kinderärzte sehen bekanntlich die vom Bund vorgegebenen Zeitlimiten als grösseres oder sehr grosses Problem, so das Resultat einer Umfrage des Verbands der Haus- und Kinderärzte Schweiz (MFE). 30 Prozent der Haus- und Kinderärzte gaben an, dass sie nicht mehr alle erbrachten Leistungen in Rechnung stellen.
Zudem sagen 41 Prozent der Befragten in der Santésuisse-Studie, «auf andere Tarifpositionen auszuweichen». Verena Nold dagegen gibt sich gegenüber der Zeitung schockiert: «Das übertrifft unsere schlimmsten Befürchtungen». Die Hausärzte machten zwar «grundsätzlich gute Arbeit», das Ergebnis der Studie sei jedoch skandalös. «Das zeugt von einer unglaublichen Selbstbedienungsmentalität», leidtragende seien die Patienten aufgrund höherer Prämien.
BAG sammelt eigene Daten
«Dass Ärzte auf andere Tarifpositionen ausweichen, heisst nicht, dass sie etwas Illegales machen». Dies sagt Yvan Rielle vom Verband MFE der Zeitung «Sonntags Blick». Die Mediziner nutzten so «den Spielraum innerhalb des Systems», um die erbrachten Leistungen abrechnen zu können.
Der Verband MFE fordert, die Zeitlimiten wieder abzuschaffen. Diese berücksichtigten den Aufwand für Koordinationsarbeit wie das Schreiben von Berichten oder Telefonate mit Eltern und Schulen viel zu wenig. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) will am jetzigen System aber festhalten. Man sammle derzeit eigene Daten, die 2019 ausgewertet sein sollen.
MFE zweifelt an den Santésuisse-Zahlen
Der Verband MFE stellt den Anstieg der Konsultationen um 11 Prozent grundsätzlich in Frage: «Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Haus- und Kinderärzte Patientinnen und Patienten häufiger aufbieten», schreibt der Verband in einer Stellungnahme. Entsprechende Zahlen seien zudem (noch) nicht verfügbar und die Grundlagen für die vom «Sonntags Blick» publizierten Santésuisse-Zahlen unbelegt. Deshalb bleibe auch «im Dunkeln, welche Ärzte für den behaupteten Anstieg verantwortlich sein sollen».
Angesichts des Haus- und Kinderärztemangels fehlten zudem ganz einfach die Kapazitäten, um häufiger Konsultationen durchzuführen, steht dort weiter. «Die angebliche Zunahme der Konsultationen pauschal den Haus- und Kinderärzten anzulasten, ist schlicht unseriös», schreibt der Verband.