Die Untersuchung nahm ein einzelnes Spital ins Visier, und zwar ein öffentliches Spital von mittlerer Grösse. Hier untersuchten Patricia Halfon, Bernard Burnand (Universität Lausanne) und Anthony Staines (Uni Lyon) die anonymisierten Dossiers von 1'000 Patienten. Bei 400 dieser Personen war es zu einem chirurgischen Eingriff gekommen, während 600 der erfassten Patienten einen medizinisch bedingten akutstationären Aufenthalt hatten.
Das Resultat: In 12,3 Prozent der beobachteten Fälle kam es zu einem unerwünschten Ereignis – also einer Entwicklung beim Patienten, die sich nicht aus dem normalen Verlauf der Krankheit erklärt, sondern durch äussere Bedingungen erwachsen sein muss.
Laut dem Team um den Präventivmediziner Bernard Burnand wären knapp die Hälfte dieser adverse events zu vermeiden gewesen (6 Prozent).
Bei knapp der Hälfte der Patienten hatte das unerwünschte Ereignis bloss geringfügige Konsequenzen. Aber in jedem vierten Fall (23 Prozent) erlitten die Patienten bis zur Entlassung doch eine schwere Beeinträchtigung.
Bemerkenswert dabei: Die vermeidbaren adverse events führten doppelt so oft zu schweren Schädigungen wie die unvermeidbaren. Weniger erstaunlich ist wohl, dass die chirurgischen Patienten doppelt so oft von unerwünschten Ereignissen betroffen waren wie die internistischen Patienten.
«Bis anhin basierten die Zahlen für die Schweiz auf Extrapolationen von US-Studien aus den späten 1990er-Jahren», würdigte Oliver Peters die Studie von Halfon
et al. «Nun hat sich erstmals jemand die Mühe gemacht, die Dossiers eines hiesigen Spitals zu analysieren», so der stellvertretende Generaldirektor des
CHUV gegenüber «Le Matin dimanche».
Die Sache mit den Hochrechnungen
Peters’ Einschätzung: Die Quote unerwünschter Ereignisse liegt in der Schweiz ähnlich hoch wie im Rest der Welt – «obwohl wir uns in der Schweiz immer vormachen, dass unser Gesundheitssystem zu den besten der Welt zählt und solche Probleme nicht kennt.»
Die Journalisten von «Le Matin» rechnen die Ergebnisse der Lausanner Studie hoch – und kommen zum Schluss, dass es in den Schweizer Spitälern zu 60'000 adverse events pro Jahr kommt. Und rechnet man diese wiederum zusammen mit den (beispielsweise in den USA erhobenen) Sterberaten bei solchen Fällen, so gelangt man zu 1'200 vermeidbaren Todesfällen im ganzen Land.
Hier meldet Bernard Burnand allerdings Widerspruch an: Es sei schwierig, von einem einzelnen Spital aufs ganze Land und die ganze Bevölkerung zu schliessen. Und vor allem schreiben die Autoren zu ihren konkret untersuchten Fällen: «No death was attributed to an AE» – sie konnten also keinen Todesfall wegen solch eines unerwünschten Ereignisses festmachen.