Nach der Reorganisation die Spitex-Kündigungswelle

Seit dem Neustart im Januar hat es in der neuen Spitex von St. Gallen schon 22 Kündigungen gegeben. Wegen der neuen Pflegephilosphie.

, 10. März 2021 um 14:17
image
  • pflege
  • spitex
  • st. gallen
Für die grünliberale St. Galler Stadträtin Sonja Lüthi ist es keine Überraschung: «Gewisse Wechsel sind bei einer Reorganisation immer zu erwarten», sagte sie gegenüber dem St. Galler Tagblatt. Die Kündigungen in der Spitex würden sich auf einem branchenüblichen Niveau bewegen.
Andere sind weit besorgter darüber, dass in der neu fusionierten Spitex St. Gallen seit Januar gleich 22 Mitarbeitende gekündigt haben. Insgesamt hat das Unternehmen 140 Angestellte.

Die andere Pflegephilosophie

Stein des Anstosses in der neuen Spitex - ein Zusammenschluss der ehemals vier unabhängigen Spitexvereine West, St.Gallen Ost, Centrum-Notker und Centrum Stadt – ist eine andere Pflegephilosphie, die offenbar in der neuen Organisation Einzug gehalten hat. Es gehe nicht mehr um die Klienten, sondern ums Geld, kritisieren Mitarbeitende.
Konkret: Diplomierte Pflegefachpersonen sollen nicht mehr die Grundversorgung eines Klienten übernehmen. Duschen und Anziehen sollen Pflegeassistenten erledigen. Medikamentenausgabe und Wundversorgung ist künftig Sache der Fachpersonen Gesundheit. Den diplomierten Pflegefachpersonen bleibt die beratende Funktion.

Bisher erledigten Diplomierte alles selber

Das ist tatsächlich ein Wechsel der Abläufe. Bisher haben die Diplomierten die Klienten auch geduscht, angezogen und umfassend versorgt – und dabei auch gleich das gesundheitliche und psychische Wohlergehen geprüft.
Für manche Spitex-Mitarbeiterin ist es nun schwierig, nicht mehr allein zu ihren Klienten zu schauen. Besonders betroffen von der Kündigungswelle ist der ehemalige Spitex-Standort St.Gallen Ost. Dort haben 14 Mitarbeitende die Kündigung eingereicht.

Gibt es so schnell Ersatz?

Edith Wohlfender, Geschäftsleiterin des Schweizerischen Berufsverbandes der Pflegefachfrauen und -männer der Sektionen St.Gallen, Appenzell und Thurgau, ist besorgt: Sie befürchtet, dass so viele Mitarbeitende nicht so schnell ersetzt werden könnten.
Die SP-Politikerinnen Maja Dörig und Alexandra Akeret, letztere ist Gewerkschaftssekretärin beim Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) Ostschweiz, wollen im Stadtparlament eine Interpellation einreichen zur Kündigungswelle. Sie haben Verständnis dafür, dass sich die Spitex auch betriebswirtschaftlich orientieren müsse und nicht nur pflegerisch-sozial. Aber Menschlichkeit und Geld müssten sich die Waage halten.

Schon 18 neue Mitarbeitende gefunden

Dass die Abgänge zu einer Versorgungslücke bei der St. Galler Spitex führen könnten, verneint Michael Zellweger, Geschäftsleiter der Spitex St. Gallen: Die Spitex-Versorgung sei sichergestellt. Die Anstellung neuer Fachkräfte laufe, bisher seien 18 Mitarbeitende rekrutiert worden, sagte er gegenüber dem «St. Galler Tagblatt».
Stadträtin Sonja Lüthi hat Verständnis für die Probleme in der neuen Spitex. Es sei anspruchsvoll, vier sehr unterschiedliche Betriebe mit ihren Kulturen unter einem Dach zusammenzuführen, sagte sie – und hofft, dass die Geschäftsleitung mit den verbliebenen Mitarbeitenden einen guten Weg finden werde.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Der häufigste «Käfer» in Heimen: Harnweg-Infekt

Blasenkatether sind die Ursache für die häufigste Infektion in Schweizer Alters- und Pflegeheimen. Der Bund will vorbeugen.

image

Neues Konzept: Wohnzimmer-Betreuung statt Spitalpflege

Die alternden Babyboomer müssten unbedingt zu Hause leben können, findet der Gesundheitsökonom Heinz Locher. Er fordert mehr Betreuung statt Pflege.

image

Das Wallis sucht seine Kantonspflegefachperson

Die Funktion der Kantons-'Nurse' gibt es inzwischen viermal in der Schweiz, in Genf wird darüber debattiert. Und das Wallis befindet sich in der Rekrutierungsphase.

image

St. Gallen holt Generalsekretärin vom USB

Nadia Hafner wird Generalsekretärin des kantonalen Gesundheitsdepartements. Sie folgt auf Gildo Da Ros.

image

Pflege modern gedacht: ICN präsentiert neue Berufsbeschreibung

Der Internationale Pflegeverband ICN hat erstmals seit Jahrzehnten seine Definition von Pflege und Pflegefachleuten überarbeitet. Sie betont Selbstständigkeit, Verantwortung und Vielfalt des Berufs.

image

Stephan Bachmann wird Präsident von Curaviva Basel-Stadt

Der ehemalige Direktor von Rehab Basel löst im kommenden Jahr Veronica Schaller ab.

Vom gleichen Autor

image

«Das Inselspital ist noch lange nicht über den Berg»

Das Inselspital wartete mit guten Meldungen auf. Doch der Insel-Kritiker Heinz Locher gibt keine Entwarnung.

image

So entgehen Sie dem Hochstapler-Syndrom

Viele Ärztinnen und Ärzte überfordern sich – und glauben dann selber, dass sie über ihrem Können spielen. Das ist schlecht für die Psyche.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.