«Mein-Arzt»-Betrogene kann Praxis wieder eröffnen

Eine Hausärztin in Reichenbach (BE) kann weiter arbeiten. Die Spitäler FMI retten ihre Praxis, die von der zweifelhaften Firma «Mein Arzt» betrieben wurde.

, 4. November 2020 um 08:24
image
Im Sommer 2018 sah noch alles gut aus: Mirela Mondescu, eine rumänische Ärztin, die mehrere Jahre auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet hatte, eröffnete in Reichenbach im Kandertal eine Hausarztpraxis.

Verlockende Versprechungen für Hausärzte

Zur Freude aller. Denn im Berner Oberland herrscht ein besonders grosser Mangel an Hausärzten und Hausärztinnen. Kaum jemand wollte sich dort niederlassen. Bis der österreichische Investor Christian Neuschitzer kam und mit seiner Firma «Mein Arzt» verlockende Versprechungen machte.
Neuschitzer konnte Mirela Mondescu davon überzeugen, in Reichenbach mit seiner Hilfe eine Praxis zu eröffnen. Sein Modell: Als Geschäftsführer wollte er der Ärztin die Administration der Praxis abnehmen. Dafür erhielt er 20 Prozent Beteiligung an der Praxis.

Wegen Verdachts auf Betrug in Haft

Christian Neuschitzer hatte in der Schweiz zahlreiche weitere Ärzte und Ärztinnen davon überzeugt, auf sein Modell einzusteigen. Doch mittlerweile sitzt der Gründer der Praxiskette «Mein Arzt» wegen Betrugsverdachts in Haft.
Die bei ihm unter Vertrag stehenden Ärzte bekommen seit Monaten kein Geld mehr. Die meisten mussten ihre Praxis schliessen. Doch Mirela Mondescu versuchte ihre Praxis weiter zu betreiben. Bis Ende September. Dann wusste sie nicht mehr, wie es weitergehen soll und hörte am 1. Oktober auf.

FMI nehmen Ärztin unter Vertrag

Dass es nur eine vorübergehende Schliessung sein würde, wusste sie damals nicht. Doch nun dürfte die Geschichte eine glücklichere Fortführung finden: Die Spitäler Frutigen, Meiringen und Interlaken (FMI) hörten von Mondescus Nöten und suchten nach Wegen, die Praxis zu retten.
«Wir bemühen uns um ein gutes Versorgungssystem in unserem Einzugsgebiet», begründet FMI-Direktor Urs Gehrig in einer Mitteilung das Interesse der Spitäler. Mittlerweile ist es den Spitälern FMI tatsächlich gelungen, die Hausärztin unter ihre Fittiche zu nehmen.

Angestellt und doch in Eigenregie

Sie schlossen den neuen Mietvertrag für die Praxis ab. Bereits in knapp zwei Wochen, am 16. November, empfängt Mirela Mondescu in Reichenbach wieder Patientinnen und Patienten. Die Administration, die bisher eigentlich «Mein-Arzt»-Gründer Christian Neuschitzer hätte führen sollen, übernimmt nun die Spitalvereinigung FMI. Mirela Mondescu führt die Praxis in eigener Regie als angestellte Ärztin der Oberländer Spitalgruppe.
Dass die Rückkehr der Hausärztin nach Reichenbach hochwillkommen ist, zeigt sich an einem Kommentar eines ehemaligen Patienten auf einem Bewertungsportal: «Frau Doktor Mondescu fehlt im Kandertal, weil sie eine super Ärztin ist. Sie gibt immer gute Ratschläge, sie nimmt sich immer Zeit für ihre Patienten. Fünf Sterne für sie, und das ist noch zu wenig.»
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Pharmagelder 2024: Zuwendungen an Schweizer Ärzte steigen leicht

2024 erhielten Ärzte, Spitäler und Fachgesellschaften zusammen 262 Millionen Franken – 16 Millionen mehr als im Jahr davor.

image

Auf dem richtigen Weg

Der Markt für Krankenhaus-Informationssysteme (KIS) befindet sich in einer Phase tiefgreifender Transformation. Die aktuellen Trends und Herausforderungen der Branche sowie die Erwartungen der Kliniken beleuchtet Dirk Müller, Director Product Management CIS4U bei Dedalus HealthCare.

image

«Manche haben unrealistische Erwartungen an die Schweiz»

Die Schweiz erscheint für viele ausländische Ärzte als Traumland. Was es braucht, damit der Jobwechsel gelingt, erklären die Ärztevermittler Francesca und Jan Saner.

image

Nach Geburtshilfe-Aus: Deny Saputra übernimmt Gynäkologiepraxis in Frutigen

Nach der Schliessung der Geburtshilfe am Spital Frutigen übernimmt Deny Saputra die Gynäkologiepraxis der Spitäler fmi und führt sie ab September eigenständig weiter.

image

«Schauen Sie genau, wen Sie heiraten – das meine ich ernst.»

Seilschaften, starre Regeln und intransparente Gehälter bremsen Frauen auf dem Weg zur Chefarztposition. Rückhalt daheim ist entscheidend – und Teilzeit ist problematisch: Das sagt Susanne Renaud, Chefärztin Neurologie am Spital Neuenburg.

image

Sparprogramme reichen nicht: Das Spitaljahr im Check

Kooperationen, weniger Angebote, effizientere Abläufe, Schliessungen, Nullrunden bei den Löhnen: Die öffentlichen Akutspitäler haben viel getan, um die Finanznot zu bekämpfen. Fazit: So geht es trotzdem nicht weiter.

Vom gleichen Autor

image

«Das Inselspital ist noch lange nicht über den Berg»

Das Inselspital wartete mit guten Meldungen auf. Doch der Insel-Kritiker Heinz Locher gibt keine Entwarnung.

image

So entgehen Sie dem Hochstapler-Syndrom

Viele Ärztinnen und Ärzte überfordern sich – und glauben dann selber, dass sie über ihrem Können spielen. Das ist schlecht für die Psyche.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.