Zu viele alte Menschen würden zu oft und zu lang mit Medikamenten ruhiggestellt. Das
kritisieren Fachleute immer wieder. Seit 2021 versucht es das Alterszentrum Ins deshalb auf einem anderen Weg: Bewohner – derzeit sind es fünf – erhalten medizinisches Cannabis statt Psychopharmaka.
Halb THC - halb CBD
Das verabreichte Cannabis-Öl besteht je zur Hälfte aus dem berauschenden Tetrahydrocannabinol (THC) und dem frei erhältlichen Cannabidiol (CBD). Es sei kein Wundermittel, relativiert Heimleiter Urs Schwarz in einem Interview mit der «Berner Zeitung», «aber jene Bewohnende, bei denen es wirkt, gewinnen massiv an Lebensqualität.»
Konkret: Patienten mit Demenz irren nachts nicht mehr im Haus herum oder läuten ständig, sondern können ruhig schlafen. Nervöse und aggressive Bewohner sind entspannter und ruhiger geworden. Einige, die sich zuvor weigerten Nahrung zu sich zu nehmen, begannen wieder zu essen.
Plötzlich Lust aufs Konfibrot
Im Interview schildert Schwarz ein spezielles Ereignis: Eine Person habe wieder zu sprechen begonnen. Eines Tages fragte sie plötzlich, warum sie immer Birchermüesli essen müsse, obwohl sie auch einmal gerne ein Konfibrot hätte.
Das Cannabis, das den Patienten verabreicht wird, hat keine berauschende Wirkung, sofern es richtig dosiert ist. In der korrekten Menge kann es Unruhe und Schlafstörungen reduzieren. Helfen soll es auch bei depressiven Verstimmungen, Spastiken, Verspannungen und chronischen Schmerzen.
Die missbrauchten Schizophrenie-Medikamente
Bei manchen Bewohnern kann das Alterszentrum die starken Psychopharmaka, die ihnen ärztlich verschrieben worden sind, reduzieren oder sogar ganz absetzen. Wie in den meisten anderen Altersheimen werden auch in Ins hauptsächlich so genannte Neuroleptika verabreicht.
Sie werden bei Betagten als Beruhigungsmittel verwendet, etwa bei Unruhe, Ängsten oder Erregungszuständen. Eigentlich wären sie aber zur Behandlung von Wahnvorstellungen und Halluzinationen gedacht, wie sie etwa im Rahmen einer Schizophrenie oder Manie auftreten können.
Geht in Ins bald das Geld für Cannabis aus?
Werden alte Menschen mit Neuroleptika ruhiggestellt, werden sie apathisch. Im Alterszentrum Ins hat man festgestellt, dass sich die Betroffenen nach dem Wechsel auf Cannabis wieder mehr bewegen. Das sei zwar fürs Personal ein Mehraufwand, aber ein willkommener, sagt Schwarz.
Schwarz fürchtet, dass dem Heim bald das Geld für das Cannabis ausgehen könnte. Die meisten Krankenkassen übernehmen die Kosten für medizinisches Cannabis nicht – «wohl aber für Neuroleptika bei Menschen mit Demenz», wie Schwarz anmerkt. Eingesprungen ist bisher eine Stiftung.
Hausarzt und Angehörige müssen einwilligen
Seit Anfang Jahr braucht das Alterszentrum keine Sonderbewilligung mehr des Bundesamts für Gesundheit (BAG) für die Cannabis-Anwendungen, wohl aber eine Einverständniserklärung der Bewohner oder ihrer Vertreter. Das ist fürs Alterszentrum ein Knackpunkt: Es gäbe im Heim offenbar mehr Bewohner, denen Cannabis helfen würde, die aber keines nehmen dürfen. Einerseits sind nicht alle Hausärzte, andererseits auch nicht alle Angehörigen damit einverstanden.