Heilmittelzulassung: 98 Prozent innerhalb der Frist

Die US-Behörden bewilligen wichtige Medikamente – aber in der Schweiz sind sie Jahre später noch nicht zu haben. Dieser Verdacht, geäussert von Interpharma-Direktor Thomas B. Cueni, provoziert jetzt die Politik. Was ist dran? Medinside hat BAG und Swissmedic um ihre Stellungnahme gebeten.

, 8. Dezember 2016 um 09:15
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Werden neue, innovative Medikamente von Swissmedic und BAG gebremst? Wirft die Verwaltung Sand ins Getriebe des medizinischen Fortschritts? Diese Vermutung stellte Thomas B. Cueni soeben in den Raum. Der Direktor des Branchenverbands Interpharma stellte fest, dass die US-Behörde FDA in den letzten drei Jahren insgesamt 76 innovative Arzneimittel in beschleunigten Verfahren zugelassen hat – aber dass in der Schweiz nur gerade 43 dieser Mittel bis heute bewilligt wurden. Davon wiederum sind erst 26 kassenpflichtig (den ganzen Beitrag auf Medinside finden Sie hier). 
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Lancierte Interpellation: FDP-Ständerat Joachim Eder | Bild: jeder.ch
Der Kommentar zeitigt jetzt bereits politische Folgen. Unter Führung des Zuger Standesvertreters Joachim Eder (FDP) haben elf Ständeräte eine Interpellation eingereicht, in der sie vom Bundesrat Antworten zum Thema verlangen. «Arzneimittel: Schwächen des Schweizer Zulassungs- und Vergütungssystems beseitigen», so der Titel. Danach soll die Landesregierung erklären, weshalb es zu solchen Verzögerungen kommt und was sie dagegen zu tun gedenkt. 
Zugleich fordern die Ständeräte den Bundesrat auf, «analog der amerikanischen FDA … flexiblere Zulassungsverfahren zu prüfen, so dass die Patientinnen und Patienten in der Schweiz weiterhin schnell Zugang zur Innovation erhalten und die Schweiz als Erstzulassungsland wieder attraktiv wird».
Implizit und explizit wird hier also heftige Kritik an den Ämtern laut: Der politische Wille zu rascher und effizienter Zulassung werde durch bürokratische Eigensinn untergraben – so der Verdacht, der hier entsteht.
Ist das so? Wir haben Swissmedic und Bundesamt für Gesundheit um Stellungnahmen gebeten.

Verzögert Swissmedic die Zulassungen von wichtigen und innovativen Medikamenten?Die Antwort von Claus Bolte, Leiter der klinischen Abteilung bei Swissmedic:

«Bei Swissmedic werden pro Jahr knapp 15'000 Zulassungsgesuche eingereicht. Davon wurden letztes Jahr 98 Prozent innerhalb der vorgesehenen, mit der Industrie vereinbarten Frist bearbeitet. Swissmedic konzentriert sich dabei insbesondere auf die innovativen Arzneimittel, wo auch ein beschleunigtes Verfahren auf Antrag der Firma möglich ist. 2015 wurden ein Drittel aller Neuzulassungen im beschleunigten Verfahren mit hundertprozentiger Fristeinhaltung begutachtet. In diesem beschleunigten Verfahren begutachtet das Institut ein Gesuch innert 140 Tagen – sogar schneller als vergleichbare Referenzbehörden.
Grundsätzlich gilt: Ein Zulassungsverfahren wird auf Initiative des Antragstellers hin gestartet. Wird kein Gesuch eingereicht, kann Swissmedic auch kein entsprechendes Präparat begutachten und prüfen. Das heisst, Swissmedic hat keinen Einfluss darauf, ob und wann eine Firma ein Zulassungsgesuch einreicht.

Manchmal ziehen die Hersteller andere Länder vor

Es gibt diverse Gründe, weshalb gewisse Medikamente, die von der FDA in speziellen Zulassungsverfahren autorisiert wurden, nicht zeitgleich in der Schweiz eingereicht oder begutachtet werden. Beispielsweise haben die einzelnen Hersteller jeweils ihre eigene globale Behörden- und Lancierungs -Strategie, so dass sie gegebenenfalls andere Länder vorziehen und erst später um eine Schweizer Zulassung ersuchen. Jedenfalls sind die von Herrn Cueni zitierten 76 Medikamente, welche die FDA seit 2013 in unterschiedlichen Verfahren zugelassen hat, nicht identisch mit den hierzulande eingereichten Gesuchen um Zulassung.
Tatsächlich bietet die FDA auf Antrag eine so genannte «Breakthrough»-Designation an, wo gewisse Wirkstoffe mit vermeintlich hohem therapeutischen Nutzen bevorzugt begutachtet werden, in intensiver Zusammenarbeit zwischen Behörde und Hersteller bereits im Rahmen des Entwicklungsprozesses. Zusätzlich gibt es dort – wie auch bei der Europäischen Aufsichtsbehörde EMA – ein «konditionales» Zulassungsverfahren, bei dem unter bestimmten Bedingungen eine vorläufige Zulassungs bei noch laufenden Phase-3-Studien erteilt werden kann. Diese speziellen Verfahren können (noch) nicht in die Schweizer Jurisdiktion übernommen werden.»

Verzögert das BAG die Aufnahme neuer Medikamente in die Spezialitätenliste? Weshalb werden bloss 30 Prozent der neuen Medikamente im vorgeschriebenen Zeitraum kassenpflichtig?

Die Antworten des BAG:

«Das BAG kann die Zahlen von Interpharma nicht kommentieren, da dem BAG die Analyse und deren Grundlagen nicht bekannt ist: Zeitraum, Arzneimittel, Bearbeitungszeit BAG, Bearbeitungszeit Pharmaunternehmen, Einreichung mit Vorbescheid Gutheissung von Swissmedic.
Eine letzte Auswertung der tatsächlichen Daten des BAG ergab, dass von Juni 2013 bis Ende Mai 2016 bei 80 Prozent der mit Vorbescheid Gutheissung von Swissmedic eingereichten Gesuche innert 60 Tagen verfügt wurden. Das heisst: Nur bei 19 von 92 Präparaten wurden die 60 Tage überschritten. 

Zeitfaktor Neuüberprüfung

Verfügen heisst dabei nicht nur Aufnahme in die Spezialitätenliste. Das BAG kann ein Gesuch auch ablehnen, wenn die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit oder Wirtschaftlichkeit nicht erfüllt sind.
Es ist aber oft nicht im Interesse der Pharmaunternehmen, wenn das BAG nach 60 Tagen eine ablehnende Verfügung ausstellt. Die Pharmaunternehmen reichen in der Regel ein Neuüberprüfungsgesuch ein. Das heisst, sie versuchen neue Tatsachen und Gründe geltend zu machen, welche für eine Aufnahme des Arzneimittels in die Spezialitätenliste sprechen. Diese Gesuche werden dann erneut bezüglich Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit beurteilt und auch der Arzneimittelkommission vorgelegt. In solchen Fällen kann es zu Verzögerungen kommen.
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