Depression: Wenn Mediziner betroffen sind

Jeder vierte Arzt in der Schweiz fühlt sich ausgebrannt. Doch wo gibt es Hilfe für diejenigen, die sonst immer helfen?

, 14. März 2018 um 10:00
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Prof. Edith Holsboer-Trachsler, Extraordinaria für klinische Stress- und Traumaforschung; Universitäre Psychiatrische Kliniken (UPK), Basel und Präsidentin der Schweizerische Gesellschaft für Angst und Depression.
Frau Holsboer-Trachsler, der 1. Publikumskongress der SGAD findet unter dem Motto «Den Betroffenen eine Stimme geben» statt. Wie oft gehören Mediziner in der Schweiz selbst zu den Betroffenen? 
Edith Holsboer-Trachsler: Bei den meisten Ärzten gehört Stress zum Alltag. Der Medizinerberuf gehört neben dem Lehrerberuf zu den Tätigkeitsbereichen mit der höchsten Stressbelastung. Es ist jedoch bekannt, dass eine chronische Stressexposition nicht nur kardiovaskuläre, sondern auch psychische Folgen haben kann. So treten gerade in diesem Berufsfeld viele stressassoziierte Folgeerkrankungen wie Schlafstörungen, psychophysische Erschöpfungszustände sowie Angst und depressive Erkrankungen auf. Aus der Literatur wissen wir, dass etwa ein Drittel der Ärzte an Burnout-Erscheinungen leiden – bis zu 60 Prozent haben entsprechende Symptome. Und gemäss einer Genfer Studie über die Jahre 2002 bis 2007 fühlt sich jeder vierte Arzt in der Schweiz ausgebrannt. Zudem zeigte eine Untersuchung von Buddeberg-Fischer aus dem Jahr 2005, dass Depression und Angst bei Assistenzärzten häufiger vorkommen als in der Allgemeinbevölkerung. 
Wenn Mediziner selbst betroffen sind, wie sollen sie im Idealfall handeln? Wohin können sie sich wenden?
Für betroffene Mediziner gelten natürlich die gleichen Ansätze, wie für alle anderen Patienten: Prävention und möglichst frühe spezifische Diagnostik und Therapie. Gerade die Prävention ist in diesem Bereich, in dem das Risiko für stressassoziierte Folgeerkrankungen gross ist, enorm wichtig. In diesem Zusammenhang sind Achtsamkeit, Selbsterkenntnis oder Sport zu nennen. Aber auch das Suchen von Hilfe und Rat bei ersten Anzeichen ist essentiell, um die frühe Diagnostik und Behandlung zu ermöglichen. Ärzte haben jedoch gegenüber ihrer eigenen Gesundheit häufig ein eher spezielles Verhalten: Sie suchen ungern Hilfe, diagnostizieren und behandeln sich selbst. Im Jahr 2004 gaben in einer Untersuchung von Bovier 35 Prozent der befragten Ärzte an, Schwierigkeiten zu haben, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. 90 Prozent der Ärzte, die in der letzten Woche ein Medikament eingenommen haben, taten dies in der Selbstmedikation.
Wie gross ist das Tabu bezüglich Angst und Depressionen in Kliniken?
Kliniken unterscheiden sich nicht wesentlich von anderen Arbeitsorganisationen. Auch hier herrschen häufig dieselben Vorbehalte gegenüber psychischen Erkrankungen. Durch die Tendenz, eine Diagnose und Behandlung in eigener Regie durchzuführen, werden jedoch Tabu und Stigmata tendenziell verstärkt. Zudem stösst Burnout in einem Berufskreis, der immer in der Helfer-Rolle steht, verständlicherweise auf Abwehr. Viele Kliniken führen deshalb gezielte Schulungsprogramme zum Stressmanagement und Umgang mit psychischen Erkrankungen durch, was viel dazu beiträgt, Tabu und Stigmata abzubauen.
Am 21. April 2018 organisiert die SGAD (Schweizerische Gesellschaft für Angst und Depression) den 1. Publikumskongress zum Thema Stress, Angst und Depression. «Kein Tabu –sprich darüber» richtet sich an Betroffene, Angehörige und alle Interessierte, die etwas für ihre psychische Gesundheit tun wollen. Das Programm beinhaltet zahlreiche Vorträge und Workshops zu verschiedenen Aspekten des Lebens, zeigt Möglichkeiten der Prävention und der Behandlung auf und gibt auch Betroffenen eine Stimme.
Weitere Informationen und das Anmeldeformular zum Publikumskongress finden Sie auf www.sgad.ch
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