In Frankreich ist eine alte Debatte wieder aufgeflammt: die Frage, ob Ärzte gezwungen werden können und sollen, sich in unterversorgten Gebieten niederzulassen. Das Unterhaus des französischen Parlaments, die Nationalversammlung, hat nun einen sehr umstrittenen Gesetzesentwurf angenommen.
Der von Guillaume Garot (Sozialistische Partei) eingebrachte Gesetzentwurf sieht vor, die Niederlassung von freiberuflichen Ärzten zu regulieren. Konkret wird eine Zulassung und Praxisbewilligung automatisch erteilt, wenn sich der Arzt in einem Gebiet mit dünner medizinischer Versorgung niederlässt. Sie kann auch in anderen Gebieten ausgestellt werden, sofern dort ein Arzt desselben Fachgebiets seine Praxis aufgibt, beispielsweise bei einer Pensionierung. Ansonsten aber gibt es – laut dem Entwurf – keine Bewilligung mehr geben.
Im Hintergrund steht, dass mehr als 80 Prozent des französischen Staatsgebiets als medizinisch unterversorgt sind und das Durschschnittsalter der Bevölkerung zumal in den ländlichen Gebieten steigt. «Für die 10 Prozent der Bevölkerung, die in den am schlechtesten versorgten Gebieten leben, dauert es 11 Tage, um einen Termin bei einem Allgemeinmediziner zu bekommen, 93 Tage bei einem Gynäkologen und 189 Tage bei einem Augenarzt»,
ermittelte das Gesundheitsministerium.
Trotz eines Streikaufrufs und Demonstrationen in ganz Frankreich hat der Text nun erste Hürde genommen. Das Gesetz wurde mit 99 zu 9 Stimmen verabschiedet, also recht deutlich, wobei allerdings nur 118 von 577 Abgeordneten anwesend waren.
Nächste Idee: Teilzeit-Sprechstunden
Studenten und praktizierende Ärzte machen keinen Hehl aus ihrer Empörung. Sie prangern das Gesetz als geplanten Zwang an. Und sie warnen, dass es die Zukunft des Gesundheitssystems gefährden würde – zum Beispiel, weil es junge Menschen vom Berufseinstieg und von einer Praxisgründung abhalten wird. «Die Notaufnahmen werden überlastet sein, weil die Patienten keine behandelnden Ärzte mehr haben werden», warnte Ambre Dujeu, ehemalige Vizepräsidentin des Nationalen Verbands der Medizinstudenten
Frankreichs (ANEMF),
im Gespräch mit «Franceinfo». «Das andere Risiko besteht darin, dass sie sich alternativen Heilmethoden zuwenden.»
Das geplante Modell in Frankreich erinnert ein bisschen an den «Ärztestopp», den die Schweiz seit 2002 kennt: Schliesslich bekommt auch hier – in gewissen Kantonen und Fächern – ein neuer Arzt erst seine Praxiszulassung, wenn ein anderer Kollege aussteigt. Allerdings ist die Stossrichtung umgekehrt: Im Schweizer Fall geht es darum, gewisse ärztliche Angebote in gewissen Gegenden zu begrenzen (und damit auch die Gesundheitskosten zu bremsen); die französische Idee zielt darauf ab, die Grundversorgung in bestimmten Gegenden zu sichern, indem die Berufstätigkeit in anderen Gegenden verunmöglicht wird.
Der Gesetzentwurf wird nun von der zweiten Kammer des Parlaments, dem Senat, überprüft. Dort steht zudem eine eigene Version der Idee zur Debatte. Der von Senator Philippe Mouiller (Les Républicains) eingebrachte Text schlägt vor, die Niederlassung von Ärzten davon abhängig zu machen, dass sie in unterversorgten Gebieten zumindest teilzeitlich Sprechstunden abhalten.
Hier das «Ende der Niederlassungsfreiheit», da ein «Rahmen der ärztlichen Freiheit»: Die Diskussion bleibt lebhaft.