Ein fraktionsübergreifendes Postulat im Luzerner Grossstadtrat fordert, dass Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt künftig auch ohne sofortige Anzeige bei der Polizei eine Spurensicherung durchführen lassen können.
Bislang müssen Betroffene die Polizei einschalten – oft in einem Moment grosser emotionaler und psychischer Belastung.
Zürcher Vorbild
Als Vorbild dient Zürich: Seit 2024 können dort «Forensic Nurses» Spuren von Gewaltverbrechen, auch ohne Anzeige, sichern. Zugleich betreuen sie die Betroffenen professionell und vermitteln ihnen Opferberatungsstellen. Im ersten Jahr wurden rund 400 Opfer unterstützt – die Hälfte vor Ort in den Stadtspitälern, die andere Hälfte telefonisch.
Die Mehrzahl der Betroffenen war weiblich und zwischen 16 und 35 Jahre alt. Etwa die Hälfte war Opfer von Sexualdelikten, die andere Hälfte von häuslicher Gewalt.
Laut einem Beitrag des
«SRF Regionaljournals Zürich-Schaffhausen» wenden sich Opfer durch das Modell häufiger an die Polizei: Im ersten Jahr reichten 21 Personen nachträglich Strafanzeige ein – in den 13 Jahren zuvor geschah dies lediglich einmal. Spuren werden 15 Jahre lang kostenlos aufbewahrt.
- «Forensic Nurses» sind speziell geschulte Pflegefachpersonen, die Betroffene von sexueller oder häuslicher Gewalt unterstützen.
- In Zürich übernehmen sie in Spitälern und Notaufnahmen die Spurensicherung – unabhängig davon, ob die Opfer sofort Anzeige erstatten möchten oder nicht.
- Dadurch bleibt die Möglichkeit offen, sich auch später noch an die Polizei zu wenden und rechtliche Schritte einzuleiten.
- Darüber hinaus stellen die «Forensic Nurses» den Kontakt zu Opferberatungsstellen her und sensibilisieren Fachpersonal im Gesundheitswesen für eine frühzeitige Erkennung von Gewalt.
Bereits vor Zürich hatte das Kantonsspital Graubünden eine «Forensic Nursing» Sprechstunde eingeführt.
Deutlich weiter ist das System in der Westschweiz entwickelt. Seit 2006 gibt es im Universitätsspital Lausanne (CHUV) eine eigene
Abteilung für Gewaltmedizin. Das CHUV hat sich als nationales Referenzzentrum etabliert und 2020 das Verfahren auf alle öffentlichen Spitäler des Kantons Waadt ausgeweitet. Ziel ist eine umfassende, koordinierte Betreuung von Gewaltopfern, Frauen wie Männern, heisst es auf der Website.
Abwarten in Luzern
Zurück nach Luzern: Bis es hier «Forensic Nurses» geben wird, könnte es noch dauern. Der Stadtrat unterstütze zwar die Prüfung des Vorstosses, «möchte sich jedoch vorerst nicht aktiv einbringen», schreibt die «Luzerner Zeitung».
Ein ähnliches Postulat war bereits 2022 auf Kantonsebene für erheblich erklärt worden. Damals wurde das Gesundheits- und Sozialdepartement beauftragt, eine medizinische Erstversorgung für Opfer häuslicher und sexueller Gewalt zu organisieren – umgesetzt wurde dies bislang noch nicht.
Grund dafür ist die laufende Teilrevision des eidgenössischen Opferhilfegesetzes, wie Edith Lang, Leiterin der Dienststelle Soziales und Gesellschaft, gegenüber der «Luzerner Zeitung» erläutert.
Bis diese Reform in Kraft tritt, möchte der Kanton Luzern abwarten und das künftige Angebot entsprechend den neuen gesetzlichen Vorgaben ausrichten.