«Fehlermeldungen verpuffen statt etwas zu bewirken»

Medizinische Fehlermeldungen würden oft nur halbherzig erfasst, Massnahmen kaum umgesetzt: Ein TV-Beitrag meldet Zweifel am CIRS-System an. Von einem «Meldefriedhof» spricht CIRS Gründer Sven Staender.

, 3. Dezember 2024 um 10:31
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Wer schaut hier über die Schulter?  | Symbolbild: Natanael Melchor on Unsplash
Rund Fünf Prozent der Patienten erleiden während einer medizinischen Behandlung einen vermeidbaren Schaden – so Schätzungen des Bundes. Um die Patientensicherheit zu verbessern, wurde das Critical Incident Reporting System (CIRS) eingeführt – ein anonymes Meldesystem, das Missstände und Risiken im Gesundheitswesen erfassen, analysieren und Gegenmassnahmen ableiten soll. Doch die Umsetzung lässt vielerorts zu wünschen übrig.
Laut Recherchen der SRF-Sendung «Rundschau» werden in vielen Spitälern Meldungen lediglich aus Pflichtbewusstsein registriert – eine systematische Auswertung und die Umsetzung von Massnahmen bleiben jedoch oft aus.
Eine Pflegende schildert gegenüber dem Fernsehteam: «Ich könnte täglich Meldungen erfassen, aber es passiert sowieso nichts.» Das Meldesystem sei wichtig, oft fehle es aber an Zeit und Ressourcen für vertiefte Analysen.
Für Spitäler ist die Teilnahme an CIRS bereits verpflichtend, künftig soll das System auch für ambulante Praxen wie Hausärzte als Zulassungskriterium gelten.

Interessen und Konflikte

Ein weiteres Problem liegt offenbar darin, dass vor allem Spitäler und Mediziner die Daten für ihre eigenen Leistungen erfassen, auswerten und an externe Register liefern. Das sagt André Plass, ehemaliger leitender Arzt am Universitätsspital Zürich. Gegenkontrollen seien in der Regel nicht existent.
Die Eingaben werden weder auf Richtigkeit noch auf Vollständigkeit geprüft: «Auch mögliche Missstände werden meist so gemeldet, dass die mitverantwortliche Institution die Kontrolle darüber behält, wie eine Abklärung erfolgen sollte und was die Konsequenzen sind».
Plass hatte vor vier Jahren als Whistleblower auf Missstände an der Klinik für Herzchirurgie des Unispitals Zürich aufmerksam gemacht, stiess jedoch auf Widerstand innerhalb der Klinikleitung.
Er betont, dass die Offenlegung von Qualitätsmängeln zu einem Dilemma führt: Einerseits ist sie essenziell, um Probleme zu beheben, andererseits besteht die Angst der Spitäler vor einem Imageverlust. «Es droht Vertrauensverlust, was wiederum eine Abnahme der Patientenzahl bedeuten kann», so Plass.
Auch gegenüber SRF Investigativ bereichten mehrere Pflegefachfrauen, dass die Stationsleitung sie angewiesen habe, keine Meldungen mehr zu erfassen, zum Beispiel «weil es ein schlechtes Licht auf die Station werfe.»

Unabhängige Qualitätszentren

Um diese Probleme zu lösen, fordert André Plass die Einführung unabhängiger kantonaler Qualitätskontroll- und Meldezentren. Diese sollen Missstände analysieren, Massnahmen einleiten und unabhängig von den meldenden Institutionen agieren. «Ein unabhängiges Qualitätskontroll- und Meldezentrum sollte auch in der Lage sein, sofort Schutzmassnahmen einzuleiten», so Plass.
Solche Zentren könnten durch den Einsatz von KI-gestützten Programmen effizient arbeiten und gleichzeitig die Qualitätssicherung im Gesundheitswesen professionalisieren.

Meldefriedhof

Sven Staender, einer der Mitbegründer von CIRS, sieht ebenfalls dringenden Handlungsbedarf. «CIRS ist in gewissen Spitälern zum Meldefriedhof verkommen. Deshalb muss man unbedingt gegensteuern», erklärt er im SRF-Beitrag. Aus der Vielzahl an Meldungen müssten die relevanten Fälle herausgefiltert und sorgfältig analysiert werden.
Staender fordert einen Neustart – ein «CIRS 2.0»: «Man sollte vermeiden, dass Spitäler im Jahresbericht einfach die Anzahl der gemeldeten Fälle angeben. Das bringt nichts. Es braucht Ressourcen und Zeit, um Vorfälle gründlich zu analysieren und daraus zu lernen.»

Mängel bekannt

Bereits 2019 mahnte das Bundesamt für Gesundheit, dass «die Qualität der medizinischen Versorgung in der Schweiz verbessert werden muss.» Anlass war ein Bericht des Oxford-Professors Charles Vincent, erstellt im Auftrag des Bundes.
Wie der «Beobachter» berichtet, stellte der Bericht fest, dass es in der Schweiz nahezu keine Transparenz über die Qualität in Spitälern gibt. Das BAG zeigte sich ernüchtert: «Es liegen zu wenig Informationen vor, um Verbesserungen vorzunehmen.»
Daraufhin reagierte der Bundesrat und änderte das Gesetz. 2021 wurde die Eidgenössische Qualitätskommission gegründet, die eine umfassende Studie in Auftrag geben sollte, um das Ausmass der Qualitätsmängel in Schweizer Spitälern zu dokumentieren. Ziel war es, verlässliche Daten zu Art, Umfang, Schweregrad und Vermeidbarkeit von Spitalfehlern zu liefern. Doch diese Studie lässt bis heute auf sich warten.
Bereits vor einem Jahr hatte der Bundesrat gegenüber dem «Beobachter» angekündigt, dass die Ergebnisse noch 2023 vorliegen sollten. Doch auch dieses Ziel wurde verfehlt.
Erst im April dieses Jahres erhielt das Lausanner Universitätszentrum für Allgemeinmedizin und öffentliche Gesundheit (Unisanté) den Auftrag, die Studie durchzuführen. Kostenpunkt: 980'000 Franken. Ergebnisse werden bis Ende April 2026 erwartet.
  • Eine unabhängige Anlaufstelle garantiert mehr Qualität. Ein Gastbeitrag von André Plass.

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