Die USA sind nach der EU der wichtigste Markt für die Schweizer Medtech-Branche. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage angesichts der angekündigten Zölle auf Schweizer Medizintechnikprodukte?
Die Sorge ist gross. Zwar hat die Entscheidung der US-Regierung, die angekündigten 31-Prozent-Zusatzzölle auf Schweizer Medtech-Importe vorerst um 90 Tage aufzuschieben, kurzfristig für Erleichterung gesorgt. Doch die Unsicherheit bleibt – insbesondere mit Blick auf die unklare Lage nach Ablauf dieser Frist. Und wir wissen: Unsicherheit ist Gift für jedes Unternehmen. Hinzu kommt, dass der seit dem 5. April geltende Basiszoll von 10 Prozent die Branche bereits jetzt spürbar belastet.
Adrian Hunn ist seit Juni 2024 Geschäftsführer von Swiss Medtech. Hunn studierte Sozialwissenschaften in Freiburg, verfügt über einen Nachdiplom-Master of Business Administration und ist seit siebzehn Jahren in der Medtech-Branche und verwandten Sektoren tätig.
Neben seiner Tätigkeit für internationale Medtech-Konzerne wie Sonova sammelte Adrian Hunn auch Erfahrungen in Medtech-Start-ups, darunter Dentalpoint, wo er als CEO die Wachstumsstrategie erfolgreich leitete.
Swiss Medtech ist der Verband der Schweizer Medizintechnikindustrie und vertritt über 800 Medtech-Firmen in der Schweiz.
Was erwarten Sie nun von der Schweizer Politik?
Wir erwarten, dass die Regierung ihren eingeschlagenen Kurs entschlossen fortsetzt. Meines Erachtens hat der Bundesrat bislang einen sehr guten Job gemacht: Er betont den wirtschaftlichen und politischen Wert der Schweiz und führt auf Augenhöhe diplomatische handelspolitische Gespräche. Ziel bleibt die Rücknahme der drohenden Zölle. In einer sich neu ordnenden Weltwirtschaft werden sich jene behaupten, die strategisch, glaubwürdig und mutig verhandeln – so wie es die Schweiz derzeit tut.
Mehrere Schweizer Unternehmen investieren derzeit massiv in den US-Markt – etwa Ypsomed mit 250 Millionen Franken. Ist das ein rein wirtschaftlicher Entscheid oder auch ein politisches Signal?
In erster Linie geht es um ein wirtschaftliches Engagement. Die USA sind für viele Schweizer Unternehmen ein äusserst attraktiver Markt: ein grosses, innovationsfreudiges Gesundheitssystem mit einer hohen Nachfrage nach Medizintechnologie. Solche Investitionen sind strategisch motiviert – um näher an den Kunden zu sein, regulatorische Prozesse zu beschleunigen oder Lieferketten zu diversifizieren. Dass das über Nacht passiert, ist ein Irrglaube – solche Entscheide benötigen Jahre der Planung.
«Viele Innovationen kommen in der Schweiz erst mit 5 bis 7 Jahren Verzögerung auf den Markt – wenn überhaupt.»
Die Schweiz prüft ein vereinfachtes Zulassungsverfahren für Produkte mit FDA-Zertifizierung. Was erhoffen Sie sich davon?
Das ist zentral – sowohl für die Versorgungssicherheit als auch für die Innovationskraft. Seit Jahren ist die Versorgungslage in Schweizer Spitälern angespannt. Viele Innovationen kommen hier erst mit 5 bis 7 Jahren Verzögerung auf den Markt – wenn überhaupt. Das Absurde: Manche dieser Produkte wurden in der Schweiz entwickelt und produziert. Hier besteht akuter Handlungsbedarf.
Kommt die Initiative zur rechten Zeit – angesichts der politischen Entwicklungen mit den USA?
Absolut. Durch die US-Zollpolitik entsteht ein strategisches Momentum. Die USA haben ein Interesse, ihre Produkte erstmals systematisch in einem europäischen Markt zu platzieren. Dieses Momentum muss die Schweiz nutzen – zur Sicherung der Patientenversorgung und zur Stärkung des Medtech-Standorts.
Was braucht es konkret, damit die Umsetzung des neuen Zulassungsverfahrens schnell gelingt?
Den guten Willen der zuständigen Behörden. Rasch geht es, wenn die Anpassung auf dem Verordnungsweg erfolgt – und nicht über eine langwierige Gesetzesänderung.
Und praxistauglich wird es, wenn auf die bereits geleistete Arbeit der FDA aufgebaut wird, statt alles doppelt zu prüfen. Genau darum geht es ja bei einem vereinfachten Verfahren.
Kritiker sehen darin ein Sicherheitsrisiko. Wie begegnet Swiss Medtech diesen Bedenken?
Die FDA zählt zu den weltweit strengsten Zulassungsbehörden. Wer dort besteht, besteht auch in der Schweiz. Der Bundesrat hat am 30. April ebenfalls bestätigt, dass für bewährte Produkte ein vereinfachtes Verfahren ausreicht. Und: Die USA sind der grösste Medtech-Markt der Welt – ihr Sicherheitsniveau steht dem der EU in nichts nach.
«Die Schweiz muss alles daran setzen, ihren Unternehmen ein konkurrenzfähiges Umfeld zu bieten.»
Inwiefern stärkt eine FDA-Anerkennung auch den Medtech-Standort Schweiz?
Sie verkürzt die Zeit, bis neue Technologien Patienten zur Verfügung stehen. Das verbessert die Versorgung und macht die Schweiz für innovative Unternehmen attraktiver. Wer auf effiziente Prozesse angewiesen ist – gerade KMU – profitiert enorm. Die Botschaft ist klar: Wir wollen qualitativ hochwertige, sichere Medizintechnik ermöglichen – nicht verhindern.
Und wie kann die Schweiz dabei gleichzeitig ihre Beziehungen zur EU stärken?
Das eine schliesst das andere nicht aus – im Gegenteil. Diversifikation macht uns widerstandsfähiger. Wir brauchen gute Beziehungen zu allen wichtigen Märkten.
Beispiel: Das Freihandelsabkommen mit Indien senkt Zölle auf Medtech-Produkte deutlich. Jetzt müssen wir rasch ratifizieren. Und ebenso vorwärts machen mit Mercosur, China – und dem Stabilisierungspaket Bilaterale.
Ein anderes Thema sorgt jedoch für Kritik: Ausländische Verkaufsstellen dürfen zwar MiGeL-Produkte in die Schweiz verkaufen, diese werden aber bislang nicht vergütet. Der Bundesrat schlägt nun vor, dass die obligatorische Krankenversicherung (OKP) künftig die Kosten bestimmter medizinischer Mittel übernimmt, die Versicherte im Europäischen Wirtschaftsraum privat einkaufen. Was spricht dagegen?
Dadurch könnte die Patientensicherheit gefährdet werden. In der Schweiz gelten strenge Auflagen für Abgabestellen, die Qualität und Sicherheit gewährleisten und vertraglich mit den Versicherern geregelt sind. Diese Anforderungen im Ausland durchzusetzen, ist kaum möglich – der Aufwand wäre gross, der Nutzen fraglich.
Der Bundesrat verspricht Einsparungen. Warum sind Sie skeptisch?
Weil die Annahme, dass Produkte im Ausland generell günstiger sind, nicht haltbar ist. Oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Zudem herrscht in der Schweiz Wettbewerb, es gibt Preisunterschiede zwischen Abgabestellen. Für Patienten wäre es schwierig, Preise zu vergleichen – sie riskieren, auf Selbstkosten sitzen zu bleiben.
Wie kompliziert wäre es, einheitliche Qualitätsstandards grenzüberschreitend umzusetzen?
Kaum praktikabel. In der Schweiz regeln individuelle Verträge mit Versicherern die Pflichten der Abgabestellen – etwa Beratung, Rechnungsstellung, Transparenz. Das ist administrativ schon im Inland komplex. EWR-weit wird es nahezu unmöglich.
Was braucht es politisch, um die Versorgung mit kritischen Medizinprodukten langfristig zu sichern?
Die Schweiz sollte möglichst rasch – per Verordnung – Produkte mit FDA-Zulassung anerkennen. Das schafft Spielraum bei der Beschaffung und stärkt die Resilienz der Lieferketten.
Was muss die Schweiz tun, um trotz globaler Unsicherheiten ein attraktiver Medtech-Standort zu bleiben?
Sich auf ihre Stärken konzentrieren: stabile Rahmenbedingungen, wettbewerbsfähige Steuern, international kompatible Regulierung. Entscheidend ist der Zugang zu wichtigen Märkten – und eine faire Vergütung innovativer Produkte.
Und zum Schluss: Was wünschen Sie sich persönlich von der laufenden Legislatur?
Weniger Bürokratie, mehr unternehmerische Freiheit. Der internationale Wettbewerb ist brutal. Die Schweiz muss alles daransetzen, ihren Unternehmen ein konkurrenzfähiges Umfeld zu bieten.