Es sei ein Praxistest, sagt Heinz Locher, ein Praxistest für sein neues Konzept. Der Berner Gesundheitsexperte hat zusammen mit der Therapeutin Claudine Chiquet mit 78 Jahren eine Firma gegründet. «Care-at-Home» heisst das Unternehmen, das für die Betreuung Betagter im eigenen Zuhause sorgt. Gegründet hat es Heinz Locher, weil er davon ausgeht, dass dieser Markt in den nächsten Jahren boomen und über drei Milliarden Franken Umsatz erreichen wird.
Im Interview mit Medinside sagt Heinz Locher, warum er so zuversichtlich ist, dass sein Konzept aufgeht, was seine Firma von den bestehenden unterscheidet und warum er als Wissenschaftler plötzlich noch zum Unternehmer geworden ist.
Heinz Locher, in allen Teilen der Schweiz gibt es die öffentliche Spitex, dazu kommen etliche private Spitex-Firmen wie die Pflegehilfe Schweiz oder Home-Instead und dann gibt es auch noch private Vermittler wie die Pflegevermittlung Schweiz. Warum haben Sie letztes Jahr noch eine weitere private Betreuungsfirma gegründet?
Weil meine Firma ein anderes Konzept hat und ich dieses Konzept einem Praxistest unterziehen will. Das Unternehmen gehört je zur Hälfte mir und Claudine Chiquet. Sie ist die Ansprechperson für die Kunden und das Mitarbeiter-Team. Zusammen bilden wir die Geschäftsleitung.
Und was ist anders bei Ihrer Firma?
Vor allem die Arbeitsbedingungen. Die Betreuerinnen und Betreuer von «Care-at-Home» erhalten einen Monatslohn und haben das Recht auf eine bezahlte Weiterbildung.
Das ist bei anderen Betreuungsunternehmen nicht so?
Nein, die meisten anderen Unternehmen haben keine echten Angestellten, die sie dazu beauftragen, Kunden zu betreuen. Stattdessen handeln sie als Personalverleiher und bieten Arbeit auf Abruf. Das ist ein grober Missstand in der Branche.
Aber ein erlaubtes Vorgehen, oder?
Ja, leider. Man darf Personal an die Kunden «verleihen» und die Kunden als Auftraggeber ansehen. Die Betagten haben ja tatsächlich Weisungsrechte und können sagen, dass sie das Jogurt im dritten Tablar des Kühlschranks möchten. Aber die Betreuung Betagter als Personalverleih zu klassifizieren, ist meiner Meinung nach falsch und führt zu prekären Arbeitsverhältnissen. Das merken dann häufig auch die Kunden.
Zur Person
Heinz Locher (1943) ist Gesundheitsökonom und hatte bis 2019 eine eigene Beratungsfirma. 1994 bis 2020 war er zudem an der Universität Bern als Dozent tätig. In den Jahren 1972 bis 1976 leitete er die Abteilung Krankenpflege des Schweizerischen Roten Kreuzes und war dort für die Regulierung und Überwachung der Krankenpflegeausbildung in der Schweiz zuständig. Später war er im Kanton Bern für Planung, Bau und Betrieb von Spitälern, Schulen und Heimen zuständig und Sekretär der Gesundheitsdirektion des Kantons Bern.
Und was ist sonst noch anders bei Ihrer Firma?
Die Kunden können die gewünschten Dienstleistungen über eine App buchen. Wir unterstützen ausserdem unsere Angestellten bei der Weiterbildung. Die meisten haben einen Pflegehelferkurs des Roten Kreuzes. Das ist eine Laienausbildung, die oft in einer Sackgasse endet. Wir bezahlen bei einem Vollpensum fünf Weiterbildungstage pro Jahr und 5000 Franken an Kurskosten.
Eine Stunde Hauswirtschaft kostet bei Ihnen 48 Franken, eine Betreuungsstunde 66 Franken. Das können sich längst nicht alle Betagten leisten. Wer soll das bezahlen?
Das ist in der Tat ein Problem. Derzeit werden Ärzte, die Spitexpflege, Spitäler und Heime von den Krankenkassen und den Kantonen bezahlt. Nur die Betreuung muss selber bezahlt werden. Ich bin deshalb der Meinung, dass auch die Betreuung auf kantonaler Ebene via Ergänzungsleistungen, Prämienverbilligungen und Steuerbegrenzungen für alle bezahlbar gemacht werden muss.
Funktioniert das neue Konzept bei Ihrem Unternehmen?
Ja, im Kleinen schon. Wir könnten noch ein paar Kunden mehr brauchen. Wir möchten das Konzept aber schweizweit verbreiten und sind deshalb auf der Suche nach Investoren.
Wollen Sie also nach vielen Jahren als Dozent und Berater auch noch als Unternehmer Geld verdienen?
Nein, das grosse Geld damit verdienen will ich nicht. Mein Ziel ist es, den Markt zu kehren.
Der Gesundheitsökonom Heinz Locher (78). | zvg