Es gibt Situationen, in denen rein medizinisch eine ambulante
oder eine stationäre Behandlung möglich wäre. Hier sei klar: «In solchen Fällen wird jedes Spital schauen, dass es Zusatzversicherte mindestens eine Nacht im Haus behalten kann»: Dies sagt Klinik-Lengg-Direktor Thomas Straubhaar in einem
Interview mit der «Berner Zeitung». Da müssten wir uns nichts vormachen.
Anreize richtig setzen
Der finanzielle Anreiz sei so stark, dass Spitäler gezwungen seien, sich so zu verhalten. «Wir müssten die Tarifsysteme so umbauen, dass es sich lohnt, auch Zusatzversicherte wenn immer möglich ambulant zu behandeln», so seine Lösung.
Natürlich können sich laut Straubhaar die starken finanziellen Anreize der Zusatzversicherung auch auf unnötige Operationen auswirken. «Aber bei vielen Patienten und Beschwerden lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, ob ein Eingriff nötig ist oder nicht».
Patienten in die Pflicht nehmen
In solch unsicheren Fällen müssten Arzt und Patient gemeinsam den richtigen Weg finden. «Es kann sein, dass eine Minderheit geldgesteuerter Ärzte eher zu einer Operation rät, wenn der Patient zusatzversichert ist.»
Aber oft sei sowieso der Patient die treibende Kraft, sagt der Spitaldirektor.
«Patienten sind heute vielfach nicht mehr bereit, selber aktiv etwas für ihren Körper zu machen oder auch eine gewisse Zeit zu leiden.»
Bei Rückenschmerzen zum Beispiel offeriere der Arzt vermutlich zwei Möglichkeiten: eine Operation oder eine mehrmonatige Therapie. «Ich behaupte, dass Patienten heute immer öfter die erste, weniger anstrengende Variante wählen.»
Kein Spitalarzt sagt Nein
Wer Schmerzen habe, wolle heute sofortige Linderung. «Wenn ein solcher Patient unbedingt eine Operation will, sagt heute wohl kein Spitalarzt mehr Nein, auch wenn der Eingriff vielleicht nicht unbedingt nötig oder zumindest verfrüht ist».
Thomas Straubhaar
Spitaldirektor Klinik LenggThomas Straubhaar leitet die Zürcher Klinik Lengg, eine Spezialklinik für Epilepsie und Neurorehabilitation. Zudem amtet er als Präsident des Spitalrates des Kantonsspitals Obwalden sowie des Schweizer Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern (ANQ). Früher leitete Straubhaar unter anderem die Klinik Sonnenhof in Bern und interimistisch das Spital Bülach. Der Berner war zudem stellvertretender Leiter des Spitalamts des Kantons Bern.