Swiss Medical Board: Wer Geld will, muss fair spielen

Ist es sinnvoll, dass mehr Mittel ins SMB fliessen? Angesichts seiner Strukturen und der bisherigen Arbeit eher nicht. Eine Stellungnahme von VEMS-Sekretär Flavian Kurth.

, 8. März 2017 um 13:00
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Peter Suter, der Präsident des Swiss Medical Board, möchte das Budget etwa vervierfachen. Es stellen sich nun zwei Fragen: Ist diese Investition nötig? Und wenn ja, ist dieses Geld im SMB gut investiert?
Es dürfte konsensfähig sein, dass die erste Frage mit ja zu beantworten ist. Es braucht ein Gremium, das in der emotional aufgeladenen Debatte um Gesundheitskosten, Rationalisierung und Rationierung mit Fakten Klarheit schafft.
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    Flavian Kurth

    ist Sekretär und stv. Projektleiter beim Verein Ethik und Medizin Schweiz in Olten. Der VEMS versteht sich als von sämtlichen Akteuren des Gesundheitswesens unabhängige wissenschaftliche Organisation, die insbesondere mit statistischer Kompetenz zur Debatte beitragen will.

Die zweite Frage ist zu präzisieren: Hat das SMB mit seiner Struktur und seiner bisherigen Arbeit den Vertrauensbeweis geliefert, dieses Gremium sein zu können?

Kritische Stimmen ausgeblendet

Zur Struktur: In Deutschland hat die dort für HTA zuständige Organisation, das IQWiG, sein Methodenpapier «Allgemeine Methoden» unter Einbezug aller Akteure erfochten. In der Schweiz wurde solch ein Vorgehen innerhalb des Projektes Swiss-HTA zwar suggeriert. Das Projekt war allerdings ein hauptsächlich von Interpharma und Santésuisse initiiertes und alimentiertes Unterfangen, bei dem nicht alle Stimmen zu Wort kamen und kritische Stimmen ausgeblendet wurden. 
Zur Eingabe von Themen wird zwar auf der Website aufgefordert. Aber wer entscheidet, welche Themen weiterverfolgt werden, ist nicht transparent, und überhaupt ist die Arbeitsweise unübersichtlich. Ein Pre-Publication-Peer-Review, wie in der Wissenschaft üblich, fehlt. 

…bis man nicht mehr fragen mag

Richtet man sich mit Fragen an die Autoren, verweisen sie ans Sekretariat, und stellt man seine Frage dann dort, so wird man unter Umständen zurück an die Autoren verwiesen. Bis man nicht mehr fragen mag.
Erkundigt man sich bei den beigezogenen Fachspezialisten, so erfährt man nicht selten, dass sie gar nicht einbezogen wurden. Teilweise wurden sie geradezu missbraucht, indem ihr Name nun auf einem Bericht steht, der aller klinischen Praxis zuwiderläuft und geeignet ist, ihrem Ruf zu schaden.
Dies war insbesondere beim Statin-Bericht des Swiss Medical Board der Fall, veröffentlicht im November 2013. Dort wurden die Kosten für ein SCORE-Risiko von 1 Prozent berechnet. Dabei wurden bei der Einschätzung der Wirksamkeit Fehler gemacht. Alsdann wurde behauptet, diese Kosten würden nicht für 1 Prozent, sondern für 5 Prozent Risiko gelten. Das ist eine Faktenverdrehung.

Weshalb widersprach Thomas Cueni?

Mit diesem Vorgehen gelang es dem SMB nun aber, ein Medikament mit einem hervorragenden Kosten-Wirksamkeits-Verhältnis auch in der Primärprävention als nicht kosteneffizient darzustellen.
Es regte sich Widerstand, allen voran von den Fachgesellschaften, aber auch von Interpharma. Der damalige Generalsekretär Thomas Cueni schrieb zu diesem Bericht: «Zum einen waren die Berechnungen der Kosten pro gerettetes Lebensjahr vierfach überhöht, zum andern sind die Zahlen der Todesfallstatistiken eindeutig: Seit 1990, als die ersten "modernen" Statine auf den Markt kamen, hat sich die Sterblichkeit infolge Herz-Kreislaufkrankheiten bei den Männern in der Schweiz um mehr als 58 Prozent verringert, bei den Frauen um mehr als 54 Prozent.»
Weshalb Thomas Cueni sich gegen einen Gesundheitsökonomen ausspricht, dessen Lehrstuhl Interpharma auf Lebzeiten finanziert, ist letztlich Spekulation; der VEMS hat sich dazu in der «Basler Zeitung» geäussert. Die Fakten: Schon bei einem Risiko von 2,5 Prozent betragen die Kosten 38'000 Franken pro gewonnenem Lebensjahr (QALY) – nicht 210‘000 Franken, wie der Bericht behauptet. Der VEMS hat nun hierzu einen Rechner entwickelt, wo jeder selber nachrechnen kann, wie die präzisen Verhältnisse sind.

Die FMH hat die Filterblase verlassen

Eine Methode, wie sie der Statin-Bericht anwendet, erlaubt es im Prinzip, fast jede Behandlung als ineffizient darzustellen, unabhängig von ihrem effektiven klinischen Nutzen. Damit haben wir eine Gesundheitsökonomie, die sich komplett von der Medizin entkoppelt, also auch von der Realität.
Darf es verwundern, dass die FMH diese Filterblase verlassen hat? Professor Hans Stalder mutmasst in der «Schweizerischen Ärztezeitung» über den Austritt: «Um ihre Unabhängigkeit in Bezug auf HTA-Leistungen zu wahren, ist die FMH (nicht aber die SAMW) aus dem Verein ausgetreten.» Es wäre allerdings etwas tautologisch, wollte sich die FMH ihre Unabhängigkeit von einem Gremium wahren, das sich gemäss Website als «von Verwaltung, Leistungserbringern und Industrie unabhängig» versteht.
Näherliegend dürfte ein letzter Rest Berufsstolz sein. Man will sich hier wohl einfach nicht länger instrumentalisieren lassen, und das ist auch gut so.

Zurück zur Frage: Mehr Geld im SMB?

Zurück zur Frage: Ist weiteres Geld im SMB gut investiert? Unter den gegebenen Umständen sicherlich nicht.
Grundsätzlich muss es nicht falsch sein, medizinische Fragen unter Ausschluss der Medizin anzugehen. Dabei können Aspekte sichtbar werden, die neu sind und mit einer gewissen Betriebsblindheit – wie sie jede Branche kennt – übersehen wurden.
Alsdann sind solche Berichte aber mit der medizinischen Praxis zu validieren, und zwar nicht nur zum Schein, sondern tatsächlich. Nur so kann verhindert werden, dass irreführende Berichte qua Publikumsmedien zu den Patienten gelangen – und diese in ihrem Verhalten dahingehend verstören, dass nötige Medikamente nicht mehr eingenommen und damit gesundheitliche Risiken eingegangen werden.

Siehe auch die Replik von Peter Suter, SMB-Präsident, und Thomas Heiniger, SMB-Vizepräsident: «Sind Ethik und alternative Fakten vereinbar – oder trumpiert sich der VEMS?»

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