Freiheitlich oder staatlich? Impressionen vom Swiss Healthcare Day

Wo Regulierung, wo Anreiz-Orientierung? Dies loteten Politiker und Experten am 2. Swiss Healthcare Day aus. Mit dabei: Antoine Hubert, Fabian Vaucher, Beat Kappeler, Ruth Humbel oder Heinz Brand.

, 10. Februar 2016 um 11:00
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Volles Haus: Swiss Healthcare Day im Hotel Kursaal Allegro, Bern
An der Veranstaltung unterm Patronat des Bündnisses Freiheitliches Gesundheitswesen wurden vor über 180 Teilnehmern mögliche Lösungen und Strategien ausgearbeitet – unter anderem zur Tarifsituation, zur Preispolitik und zu den Überkapazitäten bei der medizintechnischen Versorgung.
«Wie gelingt eine taugliche Kombination zwischen strukturierter staatlicher Planung und Marktwirtschaft, um einen minimal regulierten Wettbewerb sicherzustellen?»: So fragte es Carlo Conti am Swiss Healthcare Day. Das Krankenversicherungsgesetz liegt für den ehemaligen Basler Regierungsrat mit beiden Ansätzen im Widerspruch. Conti forderte in Bern deshalb, «das KVG als unübersichtliches Flickwerk konzeptionell neu zu formulieren».
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Carlo Conti im Gespräch mit Nationalrätin Ruth Humbel
Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und dem entsprechenden Kostenwachstum plädierte der ehemalige Präsident der Gesundheitsdirektoren-Konferenz für eine gute ambulante, medikamentös unterstütze Betreuung, eine integrierte Versorgung mit massgeschneiderten Angeboten. Dabei sollten Versicherer und Leistungserbringer mit innovativen Modellen selbst agieren. «Lassen Sie dem Markt die Chance und hören Sie auf, zusätzlich zu regulieren», forderte er die Regierungsvertreter am Swiss Healthcare Day auf.
Der Arzt, Nationalrat und neue FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis befürwortete ebenfalls einen Abbau der Regulierungsdichte, hinterfragte am Anlass aber zugleich die Rolle der Politiker, «die sich doch für gewöhnlich mit neuen Regelungen profilieren würden».
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Andreas Gattiker, Unilabs
Ähnliches wünschte sich Andreas Gattiker, Geschäftsführer von Unilabs Schweiz: «Der Staat soll lieber pro neues Gesetz zwei alte abschaffen statt in die Tarifautonomie wie bei DRG oder Tarmed einzugreifen»: Das sei eine illegale Verzerrung der Realität. Als besonders ärgerlich schilderte der Arzt und Manager die Hüst- und Hottpolitik sowie die «verordneten» Kürzungen und Erhöhungen bei den Labortarifen für Hausärzte.
Gattiker bezeichnet die Tarifsituation als «Kakophonie» mit komplexen Verfahren, fehlenden Rechtsmitteln, Streit zwischen den Tarifpartnern, zu vielen Playern (unter anderem den Kantonen, die mehrere Hüte tragen), was auch die Innovation gefährde. Seine Vorstellung: Die Verträge und Strukturen sollten ausschliesslich von den Tarifpartnern vereinbart oder bei Unstimmigkeiten durch von ihnen eingesetzte Schiedsgerichte festgelegt werden.
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Thomas Grichting, Groupe Mutuel
Dass Fehlentwicklungen und Ineffizienzen im Gesundheitswesen nicht durch staatliche Eingriffe behoben werden können, beschrieb Thomas Grichting von der Groupe Mutuel am Beispiel der ständig steigenden Zahl der MRI und CTs in Spitälern.
Mögliche Ursachen für die Überkapazitäten und den Kostenanstieg sah Grichting hauptsächlich in der angebots-induzierten Nachfrage durch die Ärzte und die moralische Versuchung der Patienten – den «moral hazard». Mehrere Westschweizer Kantone verfügen hier über eine Bedürfnisklausel zur Regulierung des Geräteeinsatzes. Doch, so Grichting: «Überkapazitäten geniessen weiterhin Bestandesschutz, die Angebotslimitierung wird unter anderem durch ausserkantonale Konsultationen unterwandert; auch lassen sich medizinisch unnötige Untersuchungen ungehindert fortführen.»

«Endlich die Verantwortung wahrnehmen»

Dabei könne die Planung des Einsatzes von MRI und CTIs über eine definierte Anzahl einfach durch die erhöhte Auslastung bestehender Geräte umgangen werden. Die einzig richtige Lösung liegt hier laut Grichting in einer outcome-orientierten Steuerung via Beurteilung jeder einzelnen auf diesen Geräten erbrachten Leistungen.
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Fabian Vaucher, Pharmasuisse
Weiter gelte es Fehlanreize zu korrigieren durch Selbstregulierung der Leistungserbringer anhand medizinischer Leitlinien («smart medicine»), durch Tarifanpassungen und Stärkung der Eigenverantwortung bei den Patienten mit entsprechender Kostenbeteiligung und durch Lockerung des Vertragszwanges: «Die Tarifpartner müssen endlich ihre Verantwortung im Interesse der Versicherten wahrnehmen, anstatt nach mehr Staat zu verlangen.»
Auch Fabian Vaucher, Präsident des Apotherverbands Pharmasuisse, plädierte am Anlass für die richtigen Anreize im Tarifsystem, damit sich Leistung lohnt. Für innovative Lösungen sei den Apotheken ein grösstmöglicher kreativer Spielraum sowie eine rasche behördliche Prüfung mit Selbstkontrolle durch die Marktteilnehmer zu gewähren. Dazu solle das Vertrauensprinzip gelten.
Weiter verlangt Vaucher gleich lange Spiesse für alle Akteure, eine klare Rollen- und Aufgabentrennung zwischen Staat, Kostenträgern und Leistungserbringern, die Stärkung des Verhandlungsprimats und die Transparenzpflicht.
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Beat Kappeler, Publizist und Ökonom
Für den Publizisten Beat Kappeler liefert der Wettbewerb das beste Ergebnis, wenn er die Resultate belohnt – nicht die Kosten. Das würde auch dem Gesundheitswesen gut anstehen, das laut Kappeler eine hohe Fehlerquote an planerischen Vorgängen verzeichnet.
Zu dieser Fehlerquote gehört laut Kappeler die hohe Spitaldichte und steigenden Investitionen, die explodierenden Gesundheitskosten und den Numerus Clausus. Weiter bemängelte der studierte Ökonom, dass das Bundesamt für Gesundheit selten alte Medikamente streiche und praktisch keine neuen zulasse und die Spital-Fallpauschalen mit immer mehr Kostenelementen befrachtet würden.

Für lockerere Zulassungspraxis für Medikamente

Dagegen seien die Vorteile der wettbewerblichen Verfahren in der Gesundheitspolitik wie die freie Wahl der Leistungserbringer durch die Krankenkassen evident. Darum fordert Kappeler mehr Anreize für bessere Resultate: Bei einem klaren Stopp aller zusätzlichen kantonalen Finanzierungen wären die privaten und öffentlichen Spitäler gleichgestellt. Auch empfiehlt er eine Lockerung der Zulassungspraxis für Medikamente. Und auf Versicherten-Ebene seien ebenfalls die wettbewerblichen und selbstverantwortenden Elemente zu stärken.
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Antoine Hubert, Aevis Victoria
Antoine Hubert plädierte für ein gesundes Gleichgewicht zwischen liberalem Wettbewerb und staatlicher Regulierung: Der Verwaltungsrat-Delegierte von Aevis Victoria stört sich dabei vor allem am Protektionismus der Kantone. Der Staat solle keine Spitäler, sondern nur Aufsicht gegen Missbrauch führen und Menschen unterstützen, die keinen Zugang zu den Leistungen haben. Dazu könne auch bei den Privatkliniken abgeschaut werden, welche dieselben Leistungen effizienter und zu vorteilhafteren Preisen anböten als die öffentlichen Spitäler.
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Pius Gyger, Galenica Santé
Gesundheits-Experte Pius Gyger befürchtet, dass die Einführung eines Festpreissystems bei Generika in der Schweiz zu Preiserhöhungen statt Ersparnissen führt. «Da ja der Wettbewerb zwischen den normalen und den Billigangeboten bereits im Land stattfindet, sind ja de facto die hiesigen Generikapreise im Vergleich zum Ausland nicht so hoch.»
Am Anlass plädierte der Gesundheitsökonom zudem für «Pay for Performance». Allerdings: Für eine leistungsbasierte Vergütung müssten alle Beteiligten auch bereit sein, das Risiko für Nonperformance zu tragen.
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Gesundheitsvertreter im Nationalrat: Ruth Humbel (CVP), Ignazio Cassis (FDP), Heinz Brand (SVP)
Die Referenten und Podiumsteilnehmer des 2. Medtech Days waren sich über eine nötige Flexibilisierung der Tarife und Preise einig. Das KVG bietet hier genügend Spielraum, befand die Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel. Für die CVP-Nationalrätin «ist der Qualitätswettbewerb immer noch zu sehr auf die Kosten fixiert. Hier sind die Ärzte und Krankenkassen in der Pflicht, die klaren gesetzlichen Bestimmungen umzusetzen.»
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Robert E. Leu, Bündnis Freiheitliches Gesundheitswesen
Was die gewünschte Reduktion der Regulierungs-Kadenz betrifft, sollten laut SVP-Nationalrat und Santésuisse-Präsident Heinz Brand alle Beteiligten eine Trendumkehr und dazu schnell und sachgerecht Lösungen herbeiführen. Am Ende der Tagung versicherte «Bündnis»-Präsident Robert Leu: «Wir nehmen die Impulse und Resultate auf und lassen sie mit in unsere Aktionen einfliessen.»

Swiss Healthcare Day 2016, Bern: Zu allen Refereraten


Text: Kathrin Cuomo-Sachsse, Fasmed
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