Pling: «Bitte nehmen Sie Ihre Pille ein»

Das Nichteinhalten der Therapien hat hohe Kostenfolgen - angeblich 12 Milliarden Franken pro Jahr. Das Handy könnte Abhilfe schaffen. Apps dazu gibt es. Doch die Ärzte kennen sie nicht.

, 12. Februar 2019 um 07:55
image
  • trends
  • arbeitswelt
  • ärzte
«Pling» machts von dort, wo gerade das Handy steckt. Und das SMS erinnert daran: «Bitte nehmen Sie Ihre Medikamente ein.»
So schrieb es der SonntagsBlick am 24. Dezember 2017. Die Botschaft ist nicht nur simpel; sie ist auch wertvoll, in zweifacher Hinsicht: Wertvoll für den Patienten; wertvoll aber auch für das Gesundheitssystem insgesamt.
  • image

    Christophe Kaempf: «Es ist vor allem Aufgabe des behandelnden Arztes, die Therapietreue zu überwachen.»

Das Stichwort dazu heisst Therapietreue. Laut Schätzungen der internationalen Beratungsfirma Booz&Company könnte die Volkswirtschaft der Schweiz um 12 Milliarden Franken entlastet werden, wenn sich alle kranken Menschen in der Schweiz an den vorgegebenen Therapieplan hielten. Dies schrieb Santésuisse im Dezember 2012 in seinem Bulletin.
Nach Angaben des Krankenkassenverbands leben in der Schweiz 2 Millionen chronisch kranke Menschen. Davon würden sich 800'000 nicht an den Therapieplan halten. Würden sie es dank digitaler Unterstützung durch das Handy tun, liessen sich laut Santésuisse jährlich 3,6 Milliarden Franken sparen.
Könnten, dürften, liessen..... mit dem Konjunktiv ist noch kein einziger Franken gespart. Wer verschickt die SMS zur richtigen Zeit? Wer entwickelt die Applikation? Wer überwacht die Therapietreue? Wer erklärt dem Patienten, wie die App zu installieren ist? Laut Christoph Kaempf von Santésuisse ist es vor allem Aufgabe des behandelnden Arztes, die Therapietreue zu überwachen.
  • image

    Yvonne Gilli: «Ich gehe davon aus, dass den Ärztinnen und Ärzten bekannt ist, dass es Reminder-Apps gibt als Hilfestellung für die Therapietreue.»

Yvonne Gilli ist im Zentralvorstand der FMH zuständig für Digitalisierung und eHealth. Sie erklärt, dass die behandelnden Ärzte ein «sehr grosses Interesse» an der Therapietreue hätten. Diese in seiner geeigneten Weise zu unterstützen sei eine seiner ärztlichen Kernaufgaben. Doch eine bestmögliche Therapietreue sei nur durch integrative Behandlungskonzepte zu erreichen. Jede beteiligte Person müsse ihren Beitrag leisten - auch die Patienten.
Yvonne Gilli verweist auf eine letztjährige Umfrage der FMH und KPMG zur Nutzung und Nachfrage neuer Technologien. Sie zeigte ein klares Interesse seitens der Ärzteschaft, jedoch noch eine geringe Nachfrage auf Seiten der Patientinnen und Patienten.
«Bereits 2015 hat eine Recherche der Frankfurter Allgemeinen» mindestens 12 Apps gefunden, welche die korrekte Medikamenteneinnahme unterstützen», erklärt Yvonne Gilli, die bis 2015 für die Grünen im Nationalrat sass. Wie viele Ärztinnen und Ärzte davon Gebrauch machen, weiss man bei der FMH nicht. Doch die Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin geht davon aus, «dass den Ärztinnen und Ärzten bekannt ist, dass es Reminder-Apps gibt als Hilfestellung für die Therapietreue.»
  • image

    Philippe Luchsinger: «Wenn der Arzt dem Patienten die Nutzung eines Apps schmackhaft machen wollte, müsste er die zur Auswahl stehenden Apps auch kennen.»

Wissen Sie das wirklich? «Ja», bestätigt Philippe Luchsinger, Präsident mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz. Aber die Patienten wüssten es nicht. Als Hausarzt in Affoltern am Albis weiss Luchsinger von einigen seiner Patienten, die ihr Handy mit Erinnerungsfunktion einsetzen. Jedoch ist ihm nicht bekannt, dass einer seiner Patienten eine App mit SMS-Erinnerungen benutzt.
Wenn der Arzt dem Patienten die Nutzung eines Apps schmackhaft machen wollte, müsste er die zur Auswahl stehenden Apps auch kennen, er müsste sie also evaluieren können. Dazu fehle ihm jedoch die Zeit.
Laut Luchsinger kommt noch hinzu, dass viele der chronisch kranken Patienten multimorbid und über 80 seien. Da sei es nicht einfach, Ihnen das Funktionieren von Apps zu erklären. 
  • image

    Andreas Schiesser: «Den Ärzten fehlt der Anreiz, diesen Aufwand zu betreiben, da er nicht über den Ärztetarif Tarmed abgerechnet werden kann.»

«Den Ärzten fehlt der Anreiz»

Was nur die wenigsten wissen: Eine Applikation als Reminder zur Einhaltung des Medikationsplans gibt es seit über zehn Jahren. Entwickelt wurde sie von der Memorems Services AG. Deren Gründer und Besitzer ist in der Branche kein Unbekannter: Andreas Schiesser ist heute Projektleiter Medikamente bei Curafutura. Vorher war der 64-jährige Ökonom in gleicher Funktion bei Santésuisse tätig und noch vorher während 23 Jahren bei Roche.
«Memorems ist eine telefonische Erinnerungs-Dienstleistung für das Erreichen einer hohen Therapietreue und damit für die Erhöhung der Chancen auf einen Therapieerfolg», beschreibt Memorems ihr Tun. Mit einer Sprachmitteilung über das Festnetz oder als SMS via Mobiltelefon soll an Arztermine oder Medikamenteneinnahme erinnert werden.
«Die SMS haben die höchstmögliche Qualitätsstufe und Lebensdauer, um zum endsprechenden Zeitpunkt versendet und empfangen zu werden», so Memorems weiter.
Nach Auffassung von Andreas Schiesser sollten Reminder durch eine Medizinalperson eingerichtet werden, durch eine Apotheke oder durch einen Arzt. «Fragen Sie Ihre Apotheke oder Arzt, wenn Sie Memorems als Unterstützung für das konsequente Einnehmen der Medikamente oder als Terminerinnerung möchten», steht auf der Website von Memorems.
Doch nach Auffassung von Andreas Schiesser fehlt den Ärzten der Anreiz, diesen Aufwand zu betreiben, da er nicht über den Ärztetarif Tarmed abgerechnet werden kann.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Patienten wollen mehr mitreden – und gründen Dachorganisation

Ein neuer Verein soll Patienten und Patientinnen mehr an der Entwicklung des Gesundheitswesens beteiligen. Die Schweiz hinke nach, heisst es bei Swiss PPIE Network.

image

Spitäler halbieren Verlust – aber zwei Drittel bleiben im Minus

2024 reduzierten die Schweizer Spitäler ihren Verlust – nach 777 Millionen Franken im Vorjahr waren es nun 347 Millionen. Aber immer noch schreiben fast zwei Drittel der öffentlichen Kliniken rote Zahlen. Die Zahl der Ärzte stieg stärker als jene des Pflegepersonals.

image

Was unsere Fingernägel über unsere Ernährung verraten

Eine Studie der Hochschule Fulda zeigt erstmals im Detail, wie zuverlässig Mineralstoffmuster in Nägeln den Ernährungsstil abbilden können.

image

Zürich: Verbände fordern Lohn-«Nachholrunde»

Die vier kantonalen Spitäler sollen ihren Rückstand mit dem Teuerungsausgleich 2026 wettmachen. Gefordert sind Lohnerhöhungen zwischen 1,8 und 2,4 Prozent.

image

Hospital-at-Home kommt ans linke Zürichseeufer

Ab sofort können Patienten am linken Zürichseeufer über das See-Spital Horgen, die Hospital at Home AG und die Spitex Horgen-Oberrieden zu Hause statt im Spital behandelt werden.

image

So können Ärzte und Ärztinnen Medical Gaslighting verhindern

Medizinische Fachkräfte sollten sich immer wieder fragen: Nehme ich meine Patientinnen genug ernst? Sonst droht Medical Gaslighting.

Vom gleichen Autor

image

Bürokratie in der Reha - Kritik am Bundesrat

Die Antwort der Regierung auf eine Interpellation zur Entlastung der Rehabilitation überzeugt kaum – Reformvorschläge bleiben vage, die Frustration wächst.

image

Das Kostenfolgemodell lässt auf sich warten

Der Ständerat überweist die Motion Wasserfallen an die zuständige Kommission. Man nennt dies Verzögerungstaktik.

image

«Die Angehörigenpflege darf nicht zu einem Geschäftsmodell werden»

Ambitionslos und verantwortungslos - die SP-Nationalrätin Ursula Zybach ist vom Bericht des Bundesrats enttäuscht.