Neuster Stand im Streit um das Glas Wein

Die bislang grösste Daten-Arbeit über die Zusammenhänge von mässigem Alkohol-Konsum und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigt ein nuanciertes Bild.

, 24. März 2017 um 07:57
image
  • prävention
  • forschung
  • kardiologie
Mal ist es ganz gut, mal doch gefährlich: Die Frage, wie sich moderater Alkoholkonsum gesundheitlich auswirkt, zählt zu den bekanntesten Jo-Jo-Spielen im Feld der Medizin-Forschung. In den letzten Jahren erhielt dabei ja die These Oberwasser, dass der Segen des täglichen Weinglases doch nur ein Mythos sei.
Aus Grossbritannien kommt nun eine neue Antwort dazu, und sie lautet: Es kommt drauf an.

«Several, but not all…»

Moderater Alkoholkonsum gehe wohl tatsächlich einher mit einem tieferen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Allerdings: Das gilt nur bei gewissen Befunden – «a lower risk of several, but not all, cardiovascular diseases», so fassen die Autoren zusammen.
Vielleicht wäre es also von Vorteil, die Frage etwas nuancierter anzugehen als bislang – so eine Vermutung der im «British Medical Journal» veröffentlichten Studie.


Worum geht es konkret? Ein Team der Universität Cambridge und des University College London suchten nach Zusammenhängen zwischen dem Alkoholkonsum und 12 verschiedenen kardiovaskulären Befunden; dafür werteten sie die Daten von 1,93 Millionen gesunden britischen Bürgern an.
Alle beobachteten Menschen waren zu Beginn der Erhebung frei von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dann wurden völlig abstinente Personen unterschieden von ehemaligen Alkoholkonsumenten und gelegentlichen Trinkern.

Angina, Herzversagen, Hirnschlag

Die Frage lautete nun: Wie oft diagnostizierte ein Arzt danach die erwähnten Krankheiten. Antwort: Bei Menschen, die moderat tranken, trat eine Reihe von Problemen signifikant seltener auf als bei Personen, die überhaupt keinen Alkohol konsumierten. So Angina, Herzversagen oder der ischämische Schlaganfall.
Also moderates Trinken wurde der Konsum von wöchentlich weniger als 14 Einheiten Alkohol definiert. Gingen die Personen darüber hinaus, so zeigten die Daten dann allerdings ein greifbar höheres Risiko für Ereignisse wie Herzversagen, Herzstillstand und Hirnschlag. Etwas tiefer waren die Werte aber auch hier für Herzinfarkt und Angina.

Ursache? Wirkung?

Das Team um den Cambridge-Epidemologen Stephen Bell warnt natürlich davor, darauf voreilig das Glas zu erheben: Es gebe effektivere Wege, seine Herz-Kreislauf-Risiken zu senken – etwa eine Steigerung der körperlichen Aktivität.
 Und ohnehin sei damit noch nichts Abschliessendes über Ursache und Wirkung gesagt.
Zugleich betonen die britischen Forscher allerdings, dass ihre Studie die Verhältnisse auf so einer grossen Datenbasis erfasst wie keine zuvor. Und dass es durchaus an der Zeit sei, die präventionspolitischen Implikationen daraus zu diskutieren.
Der greifbarste Punkt scheint dabei im erwähnten Wort «Nuance» zu liegen: Bislang ging der Streit – kurz gesagt – darum, ob das besagte Weinglas jetzt gut sei fürs Herz oder doch nicht. Jetzt steht eher die Aussage im Raum: Gut möglich. Kommt aber drauf an. 
In a Nutshell: Die Kernaussage
Laut der Studie ging Alkoholabstinenz im Vergleich zum mässigen Alkoholkonsum einher mit einem erhöhten Risiko auf:

  • Angina pectoris
  • koronarer Herztod ohne Vorwarnung
  • Herzinsuffizienz
  • ischämischer Schlaganfall
  • periphere arterielle Verschlusskrankheit
  • abdominales Aortenaneurysma.



Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Unfaire Behandlung? Beim Herzstillstand spielt das Geschlecht eine Rolle

Eine grosse Schweizer Studie zeigt bedenkliche Unterschiede: Frauen kommen nach einem Herzstillstand seltener auf die Intensivstation, werden laxer behandelt und sterben eher als Männer.

image

Diese Studien könnten demnächst die Medizin verändern

Experten kürten für das Fachmagazin «Nature Medicine» jene klinischen Studien, die demnächst die Landschaft neu prägen könnten – darunter ein Projekt von Novartis.

image

Musik ist ein chirurgisches Hilfsmittel

Wer nach einer Operation Musik zu hören bekommt, benötigt weniger Schmerzmittel, hat weniger Ängste – und auch sonst bessere Werte. Am US-Chirurgenkongress wurden dazu vielversprechende Ergebnisse präsentiert.

image

BFS-Studie: Milliarden für Forschung und Entwicklung

2023 investierten Schweizer Privatunternehmen knapp 18 Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung. Gesundheit bleibt der wichtigste Fokus.

image

Forschung und Praxis: Synergien für die Zukunft

Dr. Patrascu erklärt im Interview die Verbindung von Forschung und Praxis an der UFL. Er beschreibt die Vorteile des berufsbegleitenden Doktoratsprogramms in Medizinischen Wissenschaften und zeigt, wie die UFL durch praxisnahe Forschung und individuelle Betreuung Karrierechancen fördert.

image

Uni Bern: Professur für Klimafolgen & Gesundheit

Damit baut die Universität Bern ihre Forschung an der Schnittstelle von Präventivmedizin und Klimawissenschaften aus.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.