Mindestfallzahlen: Leichter gesagt als getan

Der Kanton Zürich plant bald Mindestfallzahlen in der gynäkologischen Chirurgie. Doch die Gynäkologen äussern schwere Bedenken – zu ineffizenten Kriterien, Problemen in der Weiterbildung, sogar Berufsverboten.

, 20. Mai 2016 um 09:20
image
Zürich führte bekanntlich 2012 als erster Kanton Mindestfallzahlen ein. Eine Untergrenze gilt seither für knapp dreissig stationäre Eingriffe – etwa für Prostataentfernungen, Lungenkrebsbehandlungen oder in der spezialisierten Wirbelsäulenchirurgie.
Bekannt ist auch, dass die Gesundheitsdirektion unter Thomas Heiniger (FDP) das Prinzip nun ausweiten will. Die Erfahrung zeige, dass sich Mindestfallzahlen sowohl qualitativ als auch wirtschaftlich positiv auswirken, resümierte die Aufsichtsbehörde Ende letzten Jahres.

Es geht rasch voran

Und so plant die Zürcher Regierung nun erstens, bei gewissen Behandlungen die Mindestfallzahlen zu erhöhen; zweitens will sie bei diversen Behandlungen neu Mindestfallzahlen einführen. Und drittens prüft sie, ob bei gewissen spezialisierten Eingriffen auch eine Mindestfallzahl pro Operateur festgelegt werden soll.
Im letzten Gesundheitsbericht erwähnte die Gesundheitsdirektion dabei die operative Behandlung von Brustkrebs, und insgesamt stehen derzeit Mindestfallzahlen in der gynäkologischen Onkologie im Vordergrund.

Ein simpler Hebel gegen die Mengenausweitung?

In den letzten Wochen fanden dazu Hearings statt, wobei die Vertreter des Kantons klarmachten, dass sie die neuen Guillotinen-Zahlen recht rasch durchsetzen wollen – womöglich noch in diesem Jahr. Dabei ist die Frage nach Sinn und Zweck durchaus umstritten, insbesondere bei den (recht häufigen) Brustkrebsoperationen. Unter den Ärzten kursiert die Vermutung, dass hinter dem einen Argument – der Qualität – ein anderer Vorteil die treibende Kraft hinter der Idee ist: Einsparmöglichkeiten.
Einzelne Politiker begrüssten die Mindestfallzahlen denn explizit als Hebel gegen die Mengenausweitung. So hat der neue Berner Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg angekündigt, via Mindestfallzahlen die Spitäler an die kürzere Leine nehmen zu wollen. Auf der anderen Seite äusserten im Kanton Zürich Direktoren von Regionalspitälern die Befürchtung, dass die grossen Zentren ungebührlich bevorzugt würden. Und sie erinnerten daran, dass auch andere medizinische Aspekte zu beachten wären, etwa die Erfahrung des Operateurs statt des Spitals.

Die Liste der Bedrohten

Der «Tages-Anzeiger» hat errechnet, dass acht Spitäler im Kanton Zürich weniger als 50 Brustkrebsoperationen durchführen; nach Andeutungen aus der Gesundheitsdirektion dürfte hier die Mindest-Grenze zu liegen kommen. Den Leistungsauftrag verlieren könnten damit das Spital Limmattal, das Spital Zollikerberg, das Paracelsus-Spital Richterswil, das See-Spital Kilchberg, das Spital Männedorf, das Spital Uster, das See-Spital Horgen und das Spital Affoltern.
Bereits vor den Anhörungen durch die Gesundheitsdirektion hatte Ossi R. Köchli eine Stellungnahme zu den Plänen verfasst – eine Beurteilung aus medizinischer Sicht. Und es war eine sehr kritische Einschätzung. 
Das Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO) befand eingangs, dass die Qualität bei solchen Eingriffen von drei Aspekten abhänge: der Erfahrung des Operateurs (Lebensfallzahlen), der Qualität der Infrastruktur mit etabliertem Netzwerk und der Fallzahl pro Jahr.

Auf die Fallzahl pro Jahr verzichtet

Die jährliche Fallzahl sei dabei von geringerer Bedeutung. Interessanterweise wurde bei der Einführung des FMH-Schwerpunkttitels im Bereich Gynäkologische Onkologie auf die Fallzahl pro Jahr verzichtet. Wichtiger, so Köchli, sei die Infrastruktur pro Institution und dabei das interdisziplinäre Tumorboard, die Technik sowie die Zusammenarbeit mit anderen Fächern wie Viszeralchirurgie oder Plastischer Chirurgie.
Köchli, der selber als Belegarzt im Bethanien und bei Hirslanden arbeitet, erinnerte ferner daran, dass die Fallzahlen im Belegarzt-System ohnehin problematisch sind: Der Belegarzt sieht in der Praxis sehr viele onkologische Patientinnen, die allerdings nicht zusatzversichert sind. Sie werden dann für die Operation in ein öffentliches Spital überwiesen.

Drohen Lücken in der Versorgung?

Kurz: Die Fallzahl besagt in den Belegarzt-Spitälern relativ wenig über die Erfahrung, die tatsächlich vorhanden ist.
«Schliesslich möchte ich vor einem Protektionismus aus wirtschaftlichen Gründen unter dem Deckmantel der Qualitätssicherung warnen», so Gynäkologe Köchli in der Mitte März verfassten Einschätzung. Gewisse Einschränkungen könnten für ausgewiesene Experten mit langer Berufserfahrung zu einem faktischen Berufsverbot führen – mit Lücken in der Versorgung insbesondere bei zusatzversicherten Patientinnen mit freier Arztwahl.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Viktor 2023: «Ich freue mich auf die Bekanntgabe der Gewinner»

Hirslanden-CEO Daniel Liedtke ist in der Jury des Viktor Awards, zugleich unterstützt die Spitalgruppe die Aktion bereits zum zweiten Mal. Weshalb, sagt er im Interview.

image

Bern: 100 Millionen, um die Spitäler zu stützen

Die Kantonsregierung plant einen Finanzschirm, damit Listenspitäler im Notfall gerettet werden können.

image

LUKS Luzern: Neuer Leiter des Radiologie-Zentrums

Alexander von Hessling ist seit 2015 am Institut für Radiologie und Nuklearmedizin des LUKS und hat die Sektion für Neuroradiologie aufgebaut.

image
Die Schlagzeile des Monats

«Es kann ja nicht sein, dass die Kernkompetenz der Jungen die Administration ist»

In unserer Video-Kolumne befragt François Muller jeweils Persönlichkeiten aus der Branche zu aktuellen Fragen. Diesmal: Michele Genoni, Präsident der FMCH.

image

Onkologie: Von diesen fünf Behandlungen wird abgeraten

Dazu gehört der Einsatz der PET für die Früherkennung von Tumorrezidiven und die prophylaktische Gabe von Medikamenten gegen Übelkeit.

image

Gefragter Aarauer Frauenarzt macht sich selbständig

25 Jahre lang war Dimitri Sarlos an der Frauenklinik des Kantonsspitals Aarau angestellt. Im Oktober eröffnet der Chefarzt eine eigene Praxis.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.