Medikamentenpreis beeinflusst Schmerzempfinden

Wenn Patienten glauben, eine Therapie sei teuer, haben sie mehr körperliche Beschwerden. Dieser in einer Studie nachgewiesene Nocebo-Effekt hat auch Folgen für die Kommunikation zwischen Arzt und Patient.

, 9. Oktober 2017 um 20:45
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Scheinmedikamente können positive und negative Nebenwirkungen haben: Der Placebo-Effekt ist heilend, der Nocebo-Effekt verursacht genau das Gegenteil: Er führt zu Beschwerden, wo keine sein sollten. 
Eine im Fachjournal «Science» veröffentlichte Untersuchung zeigt nun, dass sich der Nocebo-Effekt verstärkt, wenn Patienten glauben, es handle sich um ein teures Medikament. Dies hat die Neurowissenschaftlerin Alexandra Tinnermann vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) nachgewiesen. 

Teure und billige Verpackung

In der Studie erhielten 49 Teilnehmer ein wirkungsloses Salbenpräparat gegen Juckreiz bei Neurodermitis. Allen wurde gesagt, dass die Salbe zwar helfe, aber als Nebenwirkung auch das Schmerzempfinden steige. Die eine Hälfte der Teilnehmer erhielt die Information, das Mittel sei günstig, die andere Hälfte, es sei teuer. Das günstige steckte in einer einfachen, das teure in einer aufwändig gestalteten Verpackung. 
Resultat: die Probanden, die von einem teuren Mittel ausgingen, klagten öfters über schmerzhafte Nebenwirkungen wie Hitzereize. Mit Fortschreiten des Experiments empfanden die Teilnehmer mit dem teuren Scheinprodukt den Schmerz sogar als intensiver werdend, die Probanden mit der billigen Scheintherapie berichteten dagegen von einem leichten Rückgang der Schmerzen. Der Nocebo-Effekt wurde mit der Zeit immer ausgeprägter. 
«Interactions between brain and spinal cord mediate value effects in nocebo hyperalgesia» - in «Science», 5. Oktober 2017
Laut Tinnermann ist dieses Phänomen auf die Erwartungshaltung der Patienten zurückzuführen, die sich mit einem bildgebendem Verfahren darstellen lässt. Um zu überprüfen, was in solchen Fällen im Gehirn passiert, untersuchte das Forscherteam die Probanden mit einer Form der funktionellen Magnetresonanztherapie (fMRT), die die aktivierten Hirnareale darstellte. 
Bei Erwartungseffekten sei das sogenannte modulierende Schmerzsystem von großer Bedeutung, erläutert Alexandra Tinnermann vom Institut für Systemische Neurowissenschaften des UKE in einer Mitteilung: «Wir konnten zeigen, dass negative Erwartungen Auswirkungen auf drei wichtige Areale des modulierenden Schmerzsystems haben.»

Ärzte sollten Erwartungen positiv beeinflussen

Teure Behandlungen verstärkten die Erwartungshaltungen, und das gelte in beide Richtungen. «Die Ergebnisse zeigen, dass der Wert eines Medikaments zusätzlich zu den negativen Erwartungen das Schmerzempfinden beeinflussen kann», so Tinnermann. 
Für die praktische Medizin sind die Ergebnisse von grosser Bedeutung. Sie zeigen, dass der Nocebo-Effekt einen Einfluss auf die Nebenwirkungen und den Heilungsverlauf hat. Ärzte sollten sich dessen bei der Verabreichung von Medikamenten bewusst sein und versuchen, die Erwartungshaltung der Patienten positiv zu beeinflussen und möglichst die Kosten der Therapie nicht zu thematisieren. 
  • Zur Medienmitteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE)
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