Machtkampf um die Rolle der Spitalärzte

Die Rechts-Streitereien zwischen Spitälern und Kaderärzten häufen sich, der VLSS warnt vor «Hire- und Fire»-Zuständen: Offenbar verschärft der Wettbewerbsdruck jetzt die natürlichen Konflikte in den Spitälern.

, 27. Juni 2016 um 14:49
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Da gab es den Fall des Chefarztes, dem die Spitalleitung vorwarf, Spesen und Honorare falsch abgerechnet zu haben. Da gab es den Chefarzt im Bernbiet, der nach zwei Jahrzehnten vom Verwaltungsrat Knall auf Fall abgesetzt wurde – wegen «Meinungsverschiedenheiten». Da gab es zwei Chefärzte im Kanton Schwyz, die nach über zehnjähriger Tätigkeit wegen strategischer Differenzen freigestellt wurden. Da gab es diverse Chefärzte in diversen Regionalspitälern, die nach kurzer Zeit im Amt bereits wieder ihre Koffer packten.
Kurz: Wer alleine schon die öffentlichen Mitteilungen verfolgt, bemerkt regelmässig Abgänge von Kaderärzten, hinter denen sich Differenzen auftun – Differenzen, welche jedoch nichts mit medizinischen Fragen zu tun haben.

«Budgetierte Gewinne erwirtschaften»

Der Verein der Leitenden Spitalärzte der Schweiz VLSS bestätigt nun indirekt, dass sich hier ein grundsätzliches Muster auftut: Unlängst wies er öffentlich auf eine Häufung von Rechtsstreitigkeiten hin – und er warnte öffentlich vor den Gefahren für die medizinische Qualität.
Es gebe «Verwerfungen zwischen CEOs und Kaderärzteschaft», resümierte der Verband. Darin wiederum manifestiere sich ein «eigentlicher Kulturwandel in den Spitaldirektionen»: Die Kaderärzte müssten «nach ergebnisabhängigen Vergütungssystemen praktizieren und die von den Spitalleitungen budgetierten Gewinne erwirtschaften».

«Hire- and Fire-Mentalität»

Wer hier nicht mitspiele, dem drohe die Entlassung, analysierte der VLSS. Und er warnte vor den Gefahren einer «Hire- and Fire-Mentalität».
Was steckt dahinter? Wird Chefarzt zum Business-Optimierungs-Job? Kehren in der Spitalmedizin Zustände ein wie bei den Bankern?
Tatsächlich scheinen sich Bonus-Zahlungen auszubreiten. Eine gfs-Studie im Auftrag der FMH besagte im Januar, dass in der Akutsomatik rund 12 Prozent der befragten Ärzteschaft im Lohn bereits Bonus-Komponenten hat. Und dass diese Komponenten insbesondere in den Chefetagen verbeitet sind: Bei den leitenden Ärztinnnen und Ärzten verfügen 24 Prozent über entsprechende Lohnkomponenten, bei der Chefärzteschaft sind es 19 Prozent (mehr dazu hier).

«Geradezu unanständig»

In der Ärzteschaft sind die Boni ein seit längerem ein schwelendes Thema. Dass Spitäler ihren Medizinern quasi Boni bezahlen, kritisierte unlängst zum Beispiel Fritz Hefti, ehemaliger Chefarzt Kieferorthopädie am UKBB. In der «Aargauer Zeitung» nannte er es «geradezu unanständig», dass gewisse Spitaldirektionen ihren Ärzten Boni bezahlen, wenn sie mehr Patienten für standardisierte risikoarme Eingriffe bringen.
Letzten August machte die «Sonntagszeitung» eine Umfrage zum Thema – und meldete, dass «etliche Spitaldirektoren» ihr Personal mit Bonusmodellen ködern. Chefärzte seien «massiv unter Druck», um mit ihren Kliniken gewisse Mengenziele zu erreichen.
In krassen Fällen mache der variable Anteil fast die Hälfte des gesamten Lohnes aus (womit die Mediziner also langsam in die Sphären der Banker vorstossen würden).
Die «Sonntagszeitung» hatte dabei insgesamt 20 Spitäler und Klinikketten befragt. Resultat:
  • Die Kantonsspitäler in St. Gallen, Nidwalden, Zug und Luzern sowie die Spitäler in Thun und Wetzikon kennen Bonus-Lohnmodelle.
  • Die Hirslanden-Gruppe zahlt ihren Ärzten «in Ausnahmefällen» einen variablen Lohnanteil.
  • Das Kantonsspital Aarau führte per Anfang 2016 ebenfalls ein Lohnmodell mit «leistungsbezogenen Komponenten» ein.
  • Zur Debatte stehen die neuen Vergütungen am Kantonsspital Uri und bei den Solothurner Spitälern.
Der Anteil des variablen Lohns variiert aber kräftig. Im Kantonsspital Nidwalden liegt er bei 23 Prozent. Andere der befragten Spitäler schütten bloss 5 Prozent der Lohnsumme als variablen Anteil aus.

«In jedem anderen Unternehmen ist das selbstverständlich»

Bei den Spitälern bestätigt man die Tendenz. Im Anschluss an die VLSS-Aufruf von letzter Woche erinnert der Spitalverband H+ daran, dass die Wettbewerbs-Realität auch vor den Kaderärzten nicht Halt macht: «Es ist unerlässlich, dass die unter den heutigen Gegebenheiten notwendige strategische Ausrichtung der Spitäler und Kliniken auch von der Ärzteschaft mitgetragen und umgesetzt werden», so H+-Sprecherin Dorit Djelid: «In jedem anderen Unternehmen ist das selbstverständlich.»
Und: Auf der anderen Seite seien keine Fälle bekannt, wo die Patienten deshalb eine korrekte Behandlung nicht mehr erhalten hätten. Die FMH-Umfrage sei ja sogar zum Schluss gekommen, dass die Ärzte ihre Behandlungsfreiheit heute eher höher einschätzten.

Die FMH sagt grundsätzlich Njet

Kurz: In den Fällen, wo es zu Reibungen kommt, wird offenbar tatsächlich ein gewisser Kulturkonflikt spürbar. Die Spitäler pochen zunehmend auf Effizienz-Kriterien – wozu beispielsweise auch der Umgang mit den Ressourcen gehört oder das Gesamtergebnis einer Abteilung. Andererseits scheint unter den Ärzten die Haltung weiterhin verbreitet und ungebrochen, dass bereits gewisse Sparziele ein qualitatives Risiko in sich tragen.
Bekanntlich hält die FMH in ihrem Positionspapier dazu fest, dass sie «zielbezogene Bonusvereinbarungen in Spitalarztverträgen» grundsätzlich ablehnt. Denn es sei empirisch belegt, dass sich «Pay for Perfomance» bei komplexen Tätigkeiten kontraproduktiv auswirken kann. Ja: Selbst Bonusvereinbarungen, die an Qualitätsindikatoren geknüpft sind, könnten kontraproduktiv wirken.
Es geht also stark auch um die Frage, welche Haltung sich durchsetzen kann und wird.
Natürlich sind die Spitalleitungen organisatorisch am längeren Hebel. Der VLSS gibt aber zu bedenken, dass das Engagement der Kaderärzte unverzichtbar bleibt für den Erfolg eine Spitals – denn der Name der Chefärzte und deren Beziehungsnetz stehe stark für die medizinische Qualität eines Spitals.

Entlassung gleich Zerstörung?

«Diese können deshalb nicht von heute auf morgen ersetzt werden. Sind Entlassungen unumgänglich, sind sie sorgfältig vorzubereiten. Künden Spitalmanager ihren Chefärzten und leitenden Ärzten aber aus kurzfristigen Überlegungen, zerstören sie damit jahrelang aufgebaute Versorgungsstrukturen in den Regionen.»
Der VLSS habe auch Verständnis dafür, «wenn zuweisende Ärztinnen und Ärzte die Konsequenzen ziehen und mit den betroffenen Spitälern erst dann wieder zusammenarbeiten, wenn das Vertrauen wiederhergestellt ist» – ein Wink mit dem Zaunpfahl, der an den jüngsten Fall im Spital Interlaken erinnert: Dort hatte der fmi-Verwaltungsrat den Chirurgie-Chefarzt Arnold Kohler überraschend abgesetzt, woraufhin das Ärztenetzwerk Beodocs seinen Mitgliedern kurzerhand einen Zuweisungsstopp empfahl. Zumindest vorübergehend.
Der VLSS ruft nun also zu einer gewissen Besonnenheit auf: Denn in einer anhaltenden Konfliktsituation drohten auch freiwillige Abgänge von Kaderärzten in die Arztpraxis, in die Industrie und in die Verwaltung. Ob diese Warnung genügt, um den realen alltäglichen Effizienz-Druck auf die Spital-Leitungen zu überspielen, wird sich zeigen müssen.
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