Mehr Arbeitsunfähigkeit wegen Konflikten im Job

Krankschreibungen aus psychischen Gründen nehmen zu. Die Krankenversicherung Swica liess deshalb 1350 Krankentaggeld-Dossiers analysieren.

, 23. März 2022 um 15:46
image
  • swica
  • versicherer
  • psychiatrie
  • arbeitswelt
57 Prozent aller psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeiten werden durch Konflikte am Arbeitsplatz ausgelöst: Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Psychiatrie Baselland. Die Daten für die Untersuchung stammen von der Krankenversicherung Swica. Sie liess rund 1350 Krankentaggeld-Dossiers von Versicherten auswerten, die aus psychischen Gründen krankgeschrieben waren.

Je grösser die Firma, um so länger die Arbeitsunfähigkeit

Arbeitsunfähigkeiten aus psychischen Gründen dauern im Durchschnitt 218 Tage und sind in 95 Prozent der Fälle Vollzeit-Krankschreibungen. 80 Prozent der Versicherten arbeiten in einem 80- bis 100-Prozent-Pensum, 9 von 10 Versicherten sind Arbeiter oder Angestellte ohne Kaderfunktion.
Interessant ist: Je grösser das Unternehmen desto länger die Arbeitsunfähigkeit. Das lässt sich womöglich damit erklären, dass mit zunehmender Betriebsgrösse die soziale Kontrolle reduziert ist und ein Ausfall weniger direkte Konsequenzen hat als in einem Kleinbetrieb.

Längere Abwesenheit in der Finanzbranche und im Gesundheitswesen


Für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit spielen auch die Anforderungen am Arbeitplatz eine wesentliche Rolle. Wer diszipliniert und zuverlässig sein muss oder emotional gefordert ist, ist in der Regel auch länger krankgeschrieben.
So gibt es je nach Branche deutliche Unterschiede in der Arbeitsunfähigkeitsdauer. Am tiefsten ist sie im Baugewerbe mit 171 Tagen und in der Logistik mit 191 Tagen. In der öffentlichen Verwaltung dauert die Arbeitsunfähigkeit durchschnittlich 267 Tage, bei Banken und Versicherungen 262 Tage und im Erziehungswesen 255 Tage.

Momentan-Diagnosen nützen wenig

Für die Arbeitsunfähigkeit werden fast ausschliesslich Depressionen und Anpassungsstörungen diagnostiziert. Es sei aber schwer vorstellbar, dass fast alle erfassten Versicherten primär an einer depressiven oder Anpassungsstörung leiden, stellen die Studienautoren fest.
Sie vermuten deshalb, dass bei Krankschreibungen oft nur die aktuellen Symptome berücksichtigt würden, die sich meistens in depressiven und Belastungssymptomen zeigt – auch bei anderen psychischen Störungen.  Das Problem einer momentanen Diagnose sei, dass es kaum Hinweise gebe für nützliche Massnahmen: Wie soll der Wiedereinstieg geplant werden, welche Art von Arbeitsanpassungen wären hilfreich, was kann den Versicherten zugetraut werden, worauf ist im Umgang mit ihnen zu achten?


So könnten Lösungen aussehen

  • Unternehmen sollten früher reagieren, und nicht erst dann, wenn die Situation eskaliert.  Versicherungen könnten die Unternehmen noch gezielter unterstützen.
  • Die behandelnden Ärzte sollten stärker unterstützt und geschult werden für einen bewussten Umgang mit Arbeitsunfähigkeitszeugnissen, der den Patienten hilft, die Stelle zu behalten.
  • Nützlich wäre, wenn Ärzte, Versicherungen und Arbeitgeber Leitlinien entwickeln, wie in schwierigen Situationen früh und wirksam gehandelt werden könnte.
Dass immer mehr Personen in psychiatrisch-psychologischer Behandlung sind, sei ein Fortschritt, schreiben die Studienautoren. Aber dass sie zunehmend arbeitsunfähig würden, sei ein Rückschritt.

Arbeitsprobleme werden medikalisiert

Ein Problem sei, dass Frustrationen, Veränderungen und Konflikte, die das Arbeitsleben mit sich bringt, zunehmend zu Krankschreibungen und in der Folge zur Ausgliederung aus dem Arbeitsmarkt führen würden. Die Studienautoren schreiben von einer Medikalisierung von Arbeitsproblemen.

Niemand weiss, warum die Fälle zunehmen

Die Ausfälle wegen Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen nehmen seit vielen Jahren stetig zu. Die Gründe dafür sind unklar. Von einer epidemiologischen Zunahme psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung, könne aber nicht ausgegangen werden.
Offenbar hätten sich aber die Wahrnehmung und der Umgang mit psychischen Problemen verändert. Denn die Zunahme der Krankschreibungen kontrastiert mit einer immer besseren psychiatrischen Versorgung. Psychische Erkrankungen werden heute häufiger, früher und professioneller erkannt und behandelt.

Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Sanitas und Helsana gehen zu Curafutura zurück

Der Krankenkassenverband Curafutura wird wiederbelebt – zumindest vorübergehend. Zwei grosse Kassen treten wieder ein.

image

Gangbild deckt Depressionen auf

Eine Studie der Privatklinik Hohenegg zeigt, dass Depressionen mit 90-prozentiger Genauigkeit anhand des Gangbilds und körperlicher Parameter erkannt werden können.

image
Gastbeitrag von Yvonne Feri

Patienten zwischen Hammer und Amboss

Im Gesundheitswesen brennt es primär bei den Kosten – so die allgemeine Wahrnehmung. Wenn das so weitergeht, brechen düstere Zeiten an für Menschen mit chronischen Krankheiten.

image

Deutschland: Klinikverbund testet Exoskelette fürs Pflegepersonal

Die Hilfs- und Stützgeräte sollen auch helfen, den Personalmangel zu mildern.

image

Verschwendetes Potenzial: Der Preis der Bürokratie in den Spitälern

Könnte man den täglichen Papierkram in Medizin und Pflege um nur eine Stunde senken, so würde die Arbeitskraft von über 3000 Ärzten und 9000 Pflege-Profis frei. Eine Rechnung.

image
Kommentar von Thierry Carrel

Machthierarchien gehören der Vergangenheit an

Der Kader-Berater Eric Lippmann sichtet in den Spitälern notorische Führungsmängel. «Ich habe das Gegenteil erlebt», schreibt Thierry Carrel. Eine Replik.

Vom gleichen Autor

image

SVAR: Neu kann der Rettungsdienst innert zwei Minuten ausrücken

Vom neuen Standort in Hundwil ist das Appenzeller Rettungsteam fünf Prozent schneller vor Ort als früher von Herisau.

image

Kantonsspital Glarus ermuntert Patienten zu 900 Schritten

Von der Physiotherapie «verschrieben»: In Glarus sollen Patienten mindestens 500 Meter pro Tag zurücklegen.

image

Notfall des See-Spitals war stark ausgelastet

Die Schliessung des Spitals in Kilchberg zeigt Wirkung: Nun hat das Spital in Horgen mehr Patienten, macht aber doch ein Defizit.