Interprofessionalität: Reibereien zwischen Hausärzten und Toppharm

Der Präsident des Haus- und Kinderärzte-Verbands sieht das Projekt der Interprofessionalität bedroht – etwa durch kurzfristig gedachte Marketing-Aktionen von Apotheken.

, 12. Januar 2016 um 15:25
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Interprofessionalität ist eine heikle Sache – und die Fortschritte in diesem Bereich sind durchaus bedroht: Dies lässt sich aus einer Wortmeldung von Marc Müller schliessen. Der Präsident von Hausärzte Schweiz erinnert in der jüngsten Ausgabe von «Primary Care» daran, dass die Pläne der interprofessionellen Zusammenarbeit in der Grundversorgung viel mit Vertrauen zu tun haben – und dass einzelne Player die Vertrauensbildung doch eher belasten. Konkret genannt ist TopPharm.
Die Plattform «Interprofessionalität in der primären Gesundheitsversorgung» verbindet bekanntlich seit gut zwei Jahren die wichtigsten Partner der Grundversorgung – so etwa die Verbände der Hausärzte, Physiotherapeuten, PraxisassistentInnen, Pflegefachleute, aber auch den Apothekerverband Pharmasuisse.

WinWin – oder Scheitern

Es geht dabei um Grundsätzliches, findet Müller nun im Fachjournal: «Wir alle müssen die medizinische Grundversorgung neu überdenken, unsere Berufsbilder erneuern, unsere Tätigkeitsfelder anpassen. Dazu braucht es einen gemeinsamen Prozess, Absprache, Konsens. Die Grundversorgung der Zukunft muss alle Bereiche um fassen, es dürfen keine – besonders lukrativen – Mosaiksteine herausgebrochen werden».
Doch ist dies, so scheint es, keineswegs einfach. Pharmasuisse und Hausärzte Schweiz erarbeiten beispielsweise derzeit ein interprofessionelles Programm zur Darmkrebs-Früherkennung. Hier harzt es offenbar bei der gemeinsamen Kommunikation und Planung, und nach dem Pilotversuch sei die Skepsis an der Basis gross – bei Hausärzten wie bei Apothekern. «Wenn es nicht gelingt, eine wirkliche WinWin-Situation zu kreieren, wird das Projekt scheitern», warnt Müller, der selber in Grindelwald eine Praxis führt.

Marc Müller: «Jeder für sich und TopPharm gegen alle?», in: «Primary Care», Januar 2016

Wichtig sei es also, dass nun alle Parteien die individuellen Befindlichkeiten aussen vor lassen. Und da wird es nach Müllers Einschätzung heikel. Der «oberste Hausarzt» der Schweiz spielt dabei auf diverse Aktionen von TopPharm an – der grössten Schweizer Apothekergruppierung.

  • Da wäre zum einen das mit der Swica entwickelte «Medpharm»-Modell, bei dem die Patienten im Krankheitsfall als erstes entweder eine TopPharm-Apotheke aufsuchen oder den Telemed-Dienst Sante24 anrufen. Der Hausarzt kommt erst danach zum Zug.
  • Da wäre zum anderen das Betreuungsprogramm für Menschen mit Kopfweh, Migräne und neuropathischen Schmerzen, welches Toppharm mit der CSS anbietet (und das Müller als «Vorspiegelung vom Himmel gefallener Schmerztherapie-Kompetenz» einschätzt). 
  • Und da wäre drittens die «Abkupferung des Begriffs 'Gesundheits Coach' von unserem längst etablierten «Gesundheitscoaching-Programm».

All diese Aktionen streuten Sand ins Getriebe der Bestrebungen, tragfähige Lösungen für eine nachhaltige Grundversorgung der Zukunft zu schaffen, kritisiert Müller: «Kurzfristige Marketingerfolge sollen den Patienten Sicherheit vorgaukeln, bittere Enttäuschung ist vorprogrammiert».

Der Effekt des Feuerwerks

Der Prozess der Interprofessionalität sei zwar gut angelaufen, doch der Weg sei auch noch weit – und so seien Alleingänge von Apothekenketten, Krankenkassen oder Berufsgruppen wie ein Feuerwerk: kurzer Knalleffekt, keine Nachhaltigkeit.
Hausärzte-Präsident Müller erinnert also insgesamt an den Grundtatbestand, dass Interprofessionalität zwangsläufig weniger Einzelgänge verlangt. Und so schliesst er seinen Kommentar mit dem Satz: «Wir laden alle ein zum Dialog und zur Zusammenarbeit!»
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