Viele verfehlte Verschreibungen in der Grundversorgung

In der Schweiz könnte jedes fünfte Medikament für ältere Patienten unnötig oder falsch sein: Dies deutet eine neue Studie an.

, 8. Juli 2024 um 12:43
letzte Aktualisierung: 4. September 2024 um 07:18
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Bild: Diana Polekhina on Unsplash
Mehr als die Hälfte der älteren Patienten in der Grundversorgung erhalten potentiell unangebrachte Medikamente. Und jedes fünfte Rezept für diese Zielgruppe vermittelt ein unnötiges oder gar falsches Medikamente. Dies deutet eine Studie an, die unlängst im «JAMA Open Network» erschienen ist.
Ein Team von Forschern des Instituts für Hausarztmedizin in Zürich sowie des Inselspitals untersuchte dafür die Verschreibungen für fast 116’000 Patienten im Alter über 65. Die Basis bildeten Daten der Forschungsdatenbank FIRE des Instituts für Hausarztmedizin, erfasst zwischen Januar 2020 bis Dezember 2021.
  • Simeon Schietzel, Stefan Zechmann, Yael Rachamin, Stefan Neuner-Jehle, Oliver Senn, Thomas Grischott: «Potentially Inappropriate Medication Use in Primary Care in Switzerland», in: JAMA Netw Open, Juni 2024.
  • doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.17988
Dabei analysierten die Forscher insgesamt 1,2 Millionen Verschreibungen für 116’000 Patienten und legten als Massstab sechs verschiedene anerkannte Listen für PIM – also für potentiell inadäquate Medikation – an. So etwa die amerikanische Beers Criteria List oder die deutsche Priscus-Liste.
Ein Resultat: 52 Prozent der erfassten Patienten erhielten nach mindestens einer Kriterienliste eine «Potentially Inaproppriate Medication». Bei 19 Prozent der analysierten Rezepturen handelte es sich solch eine PIM.
Allerdings schwankte der Anteil je nach Liste zwischen knapp 13 Prozent (Priscus-Liste) und gut 37 Prozent (Konsensusliste EU-7).

Schmerzmittel, Schlafmittel, Antidepressiva

Die häufigsten Fälle von potentiell unpassender Medikation betrafen Pantoprazol (9,3 Prozent aller verschriebenen PIMs), Ibuprofen (6,9 %), Diclofenac (6,3 %), Zolpidem (4,5 %) und Lorazepam (3,7 %).
Und knapp zwei Drittel der Fälle entfielen auf die Wirkstoffklassen Analgetika, Protonenpumpenhemmer, Benzodiazepine, Antidepressiva und Neuroleptika.
Die Autoren kommen folglich zum Schluss, dass die Ärzte mit Vorteil diese fünf Medikamentenklassen ins kritische Auge nehmen, wenn sie ihre Verschreibungen perfektionieren wollen. Als weitere Strategien nennt das Team die regelmässige Überprüfung der Medikation älterer Patienten durch speziell geschulte Mediziner und Apotheker. Auch könnten spezielle Programme erarbeitet werden, um das Bewusstsein für die Problematik zu schärfen.
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