«Ich finde das problematisch»

Ruth Humbel findet nicht, dass die Schweizer Pflegelöhne im internationalen Vergleich schlecht sind. Gleichwohl sieht sie in gewissen Bereichen Nachholbedarf.

, 13. November 2020 um 13:40
image
  • pflege
  • lohn
  • ruth humbel
  • politik
  • coronavirus
Ruth Humbel, Sie kritisieren die Verwendung einer OECD-Statistik, die zeigt, dass die Pflegelöhne in der Schweiz gemessen am nationalen Durchschnittslohn unterdurchschnittlich tief sind. Weshalb?
Wenn man internationale Vergleiche macht, dann muss man sie ganz machen. Was mich stört, ist, dass diese Statistik verwendet wird, während die Berufsverbände eine andere OECD-Statistik ablehnen, die zeigt, dass die Pflegedichte in der Schweiz die höchste ist. Dort wird von Arbeitnehmerseite kritisiert, dass für die Berechnung der Pflegedichte auch Pflegehelferinnen und -helfer miteinbezogen worden seien. Bei der Lohnstatistik sehen sie diesbezüglich aber offenbar kein Problem.
Hat es in der Schweiz genügend Pflegepersonal?
Klar ist es eng. Wir wollen hohe Standards. Deshalb brauchen wir mehr Pflegefachpersonal als andere Länder. Und das haben wir auch. Zudem will die Politik mit einer Bildungsoffensive erreichen, dass wir in der Schweiz selber mehr Pflegefachpersonen ausbilden.
Und wie steht es um die Löhne? Sie sagten dem «Tages-Anzeiger» vor Kurzem: «So miserabel verdienen die auch nicht».
Das wurde etwas aus dem Kontext gerissen. Was stimmt: Ich finde es problematisch, wenn jetzt eine einzelne Berufsgruppe kommt und generell mehr Lohn will - während man in vielen anderen Branchen ums Überleben kämpft. Das sage ich auch im Austausch mit Pflegefachkräften so. Im Moment scheint mir die Forderung nicht angebracht. Und ja: Ich sehe, dass manche mehr verdienen müssten.
Wen meinen Sie da?
Klar ist, dass zum Beispiel Pikettentschädigungen vielerorts dürftig sind und es da Zuschläge braucht. Und jene, die mit Covid-Patienten arbeiten, hatten teilweise enorme Belastungen. Diese brauchen auch eine finanzielle Anerkennung.
Wie hoch sollte eine solche Entschädigung ausfallen?
Ich hörte mal vom Vorschlag einer Corona-Entschädigung von 2000 Franken. Ich finde es aber schwierig, da eine Zahl zu nennen. Auch weil es unterschiedliche Belastungen gab und gibt. So kam die in den Covid-Verordnungen des Bundesrates vorgesehene Möglichkeit, die arbeitsrechtlichen Vorschriften ausser Kraft zu setzten, etwa im Spital Baden, dass ein Covid-Spital war, bisher nicht zur Anwendung. Im Frühling waren zudem 20 Prozent des Pflegepersonals in Kurzarbeit. 
Von wem müsste eine solche Entschädigung denn kommen aus Ihrer Sicht?
Eine solche Entschädigung ist Sache der Institutionen und der Kantone - ebenso die Frage der Arbeitsbedingungen in der Pflege. Ganz grundsätzlich ist das Gesundheitswesen Sache der Kantone. Trotzdem engagiert sich der Bund.
Die Aargauer CVP-Politiker Ruth Humbel ist Nationalrätin und Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission. Sie ist daneben unter anderem Verwaltungsrätin der Krankenversicherung Concordia und der Swiss Medical Network Hospitals SA. | zvg
Ein Beispiel?
Wir haben einen indirekten Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative eingebracht. Ich sass dazu auch mit dem SBK und den Arbeitgeberverbänden zusammen. 469 Millionen will der Bund für die Pflegeausbildung zur Verfügung stellen – dies unter der Bedingung, dass die Kantone mindestens den gleichen Betrag einschiessen.
Die Pflege ist mit dem Gegenvorschlag aber nicht einverstanden.
Ja. Ich erhalte Mails, in denen steht, dass eine Ausbildungsoffensive nichts bringe, wenn anschliessend die Arbeitsbedingungen schlecht seien. Ich finde es auch ärgerlich, dass es Betriebe gibt, die sich zu wenig um Mitarbeitende kümmern. Dort wo ich dabei bin, sehe ich solche Zustände aber nicht. Im Alterszentrum Lindenhof im Aargau, bei dem ich im Stiftungsrat sitze, läuft es aus meiner Sicht vorbildlich. Dort gibt es beispielsweise eine Kita. So können Mütter Beruf und Familie besser vereinbaren.
Der Unmut beim Pflegepersonal ist aber vorhanden - wie kann man diesem begegnen?
Die verschiedenen Ebenen sind gefragt. Der Bund macht wie gesagt eine Bildungsoffensive. Aktuell gibt es aber noch einige Differenzen zwischen National- und Ständerat. Etwa bei der Frage, ob im Pflegebereich die Absolventinnen von Fachschulen für entstehende Lohnausfälle direkt entschädigt werden sollen. Ich bin da der klaren Meinung, dass das notwendig ist. Auch muss sich die Mentalitätsfrage ändern. Ich finde es stossend, wenn sich erfahrene Pflegefachpersonen von Assistenzärztinnen und -ärzten etwas bescheinigen lassen müssen, obwohl sich diese in der Praxis gleichzeitig bei den Pflegefachpersonen fachlichen Rat holen. Das ist total daneben. Man muss die Kompetenzen der Pflege erhöhen. Auch sollen die Pflegefachkräfte zusammen mit den Ärzten nach einem Spitalaufenthalt Spitex anordnen. Bedarfsabklärung ist eine Kompetenz von Pflegefachpersonen. Wenn diese anschliessend von einem Hausarzt bestätigt werden muss, obwohl er sich da gar nicht auskennt, ergibt das keinen Sinn. Das haben wir geändert.
Was sagen die Berufsverbände zu solchen Bestrebungen?
Die Berufsverbände blenden aus, dass auf Bundesebene einiges läuft. Sie müssen das stärker anerkennen. Auch, dass die Möglichkeiten des Bundes begrenzt sind. Sie fordern vom Bund, dass es einen Personalschlüssel pro Patientengruppe gibt. Das muss aber auf Kantonsebene über die Spital- und Pflegeheimlisten gemacht werden. Dort kann man solche Schlüssel für bestimmte Kategorien definieren. Alles andere ist nicht zielführend.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

«Es tobt ein heftiger Konflikt mit den Krankenkassen»

Vor einem Jahr der grosse Physio-Aufstand und die Hoffnung auf bessere Tarife. Und jetzt? Laut den Physiotherapeuten geschah wenig. Die Rede ist gar von Schikanen der Krankenkassen.

image

St. Gallen: 128 Millionen für die Pflege-Ausbildung

Die Bevölkerung stimmte sehr klar für ein Massnahmen-Paket zur Verbesserung der Lage im Pflegebereich.

image

Luzern: Mehr Geld für die ärztliche Weiterbildung

7,65 Millionen Franken sollen zusätzlich in die Weiterbildung von Ärzten in den Spitälern der kantonalen Spitalliste fliessen.

image

Simulieren schafft Bewusstsein für die Pflege-Realität

Diese Zahl alarmiert: 40 Prozent der Pflegefachpersonen steigen in den ersten Berufsjahren aus. Am Swiss Center for Design and Health (SCDH) in Nidau bei Biel/Bienne können Entscheidungsträger:innen vorbeugen, indem sie unter Einbezug der Nutzenden im Massstab 1:1 bedürfnisgerecht planen.

image

Luzern will wieder eine Long-Covid-Anlaufstelle

Die Sprechstunde am Luzerner Kantonsspital wurde im Frühling geschlossen. Nun fordert die Gesundheitskommission ein überkantonales Angebot.

image

Psychiater schreibt den «Berset-Code»

Kein Krimi: In einer Woche erscheint ein Buch über den Ex-Gesundheitsminister Alain Berset. Der Psychiater Gregor Hasler hat es verfasst.

Vom gleichen Autor

image

Covid-19 ist auch für das DRG-System eine Herausforderung

Die Fallpauschalen wurden für die Vergütung von Covid-19-Behandlungen adaptiert. Dieses Fazit zieht der Direktor eines Unispitals.

image

Ein Vogel verzögert Unispital-Neubau

Ein vom Aussterben bedrohter Wanderfalke nistet im künftigen Zürcher Kispi. Auch sonst sieht sich das Spital als Bauherrin mit speziellen Herausforderungen konfrontiert.

image

Preisdeckel für lukrative Spitalbehandlungen?

Das DRG-Modell setzt Fehlanreize, die zu Mengenausweitungen führen. Der Bund will deshalb eine gedeckelte Grundpauschale - für den Direktor des Unispitals Basel ist das der völlig falsche Weg.