Herr Schneuwly, wer hat Recht?

Felix Schneuwly plädiert für alternative Versicherungsmodelle mit Capitation und Qualitätsmanagement. Dies als Antwort auf die Debatte zu den Fallpauschalen bei stationären Behandlungen.

, 24. September 2017 um 22:21
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Peter Fischer, früherer CEO der Visana-Krankenkasse und bis Ende Juli Direktor im Privatspital Hohmad in Thun, kritisierte kürzlich auf Medinside die Fehlanreize bei den Fallpauschalen. Der Thuner Beat Straubhaar, ebenfalls ehemaliger Spitaldirektor, verteidigte das System. Medinside will von Felix Schneuwly, Krankenkassen-Experte beim Internetvergleichsdienst Comparis, wissen, auf welcher Seite er steht.  

Herr Schneuwly, Peter Fischer sagt, die Fallpauschalen bergen Anreize zur Mengenausweitung. Beat Straubhaar widerspricht. Wer hat Recht?Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte.

Diese Antwort habe ich befürchtet.Richtig ist, dass die Vergütungssysteme des Gesundheitswesens vorab Mengen, nicht aber Effizienz und Qualität belohnen. Das ist aber nicht nur bei den Fallpauschalen für stationäre Eingriffe, sondern auch beim Tarmed für ambulante Behandlungen, bei Medikamenten, nichtärztlichen Therapien und Pflegeleistungen der Fall.
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    Felix Schneuwly

    Felix Schneuwly ist seit 2011 Head of Public Affairs beim Vergleichsdienst Comparis. Zuvor arbeitete er als Leiter Politik und Kommunikation für Santésuisse. Der Deutsch-Freiburger verfügt über ein Lizenziat in Journalistik und Psychologie und einen MBA-Titel in Nonprofit-Management.

Was ist die Alternative?Die Vergütungssysteme DRG und Tarmed sind sehr ausgeklügelt. Der Spielraum von der erlaubten Optimierung bis hin zum Betrug ist gross. Die berechtigte Kritik am DRG-System ist aber kein gutes Argument für ein anderes Vergütungssystem.
Sie wollen kein anderes Vergütungssystem – und doch bezeichnen Sie die Kritik am DRG-System als berechtigt. Wo müsste man den Hebel ansetzenEine Möglichkeit wäre, dass mit zunehmender Menge die Pauschalpreise sinken. Damit würden schädliche Nebenwirkungen der Fallpauschalen minimiert.

«Der Spielraum von der erlaubten Optimierung bis hin zum Betrug ist gross.»

Das verstehe ich nicht ganz. Man will doch, dass sich die Spitäler spezialisieren und gewisse Mindestzahlen erreichen.Mindestfallzahlen sind berechtigt, weil fehlende Erfahrung und Routine Patientensicherheit und Qualität gefährden können. Fallzahlen allein reichen aber nicht für die Qualitätssicherung. Deshalb misst und publiziert der Nationale Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ) neben Fallzahlen auch Infektions- und Rehospitalsationsraten sowie Patientenzufriedenheit. Comparis setzt auf Patientenzufriedenheit....
Und auf Mortalitätsraten.Nein. Das ist heikel. Nicht jeder Todesfall im Spital ist auf schlechte Qualität zurückzuführen. Besser wären Daten, wie lange und wie gut Patienten nach Spitalaufenthalten leben.
Was versprechen Sie sich von solchen Daten?Eine bessere Transparenz der Qualität und eine bessere Information der Patienten sind gute Massnahmen gegen schlechte und überflüssige Medizin. Ich denke auch an mehr Zweitmeinungen.

«In der Schweiz werden viel mehr künstliche Gelenke eingesetzt als in anderen Industrieländern.»

Mehr Zweitmeinungen? Das erhöht doch die Kosten?In der Schweiz werden viel mehr künstliche Gelenke eingesetzt als in anderen Industrieländern. Auch am Rücken und an der Prostata wird häufiger operiert. Und Gallenblasen werden häufig entfernt. Insbesondere Patienten mit Spitalzusatzversicherungen werden häufiger als nur Grundversicherte operiert und liegen auch länger im Spital. Eine unabhängige Zweitmeinung kann uns vor unnötigen Operationen schützen. Der Spareffekt ist dann die positive Nebenwirkung.
Die Spitäler sind dazu übergangen, die Anzahl der zu behandelnden Fälle zu budgetieren. Laut Peter Fischer liegt das Problem darin, dass Kader und Ärzte dafür belohnt werden, wenn die budgetierten Fallzahlen erreicht werden.  Wenn man Kinder, die spontan spielen, systematisch belohnt, wenn sie spielen, hören sie auf zu spielen, wenn man sie nicht mehr belohnt. Falsche Anreize richten auch bei Erwachsenen Schaden an. Wenn schon Boni für Ärzte, dann für gute Indikationsqualität, eingehaltene Guidelines und erreichte Behandlungsziele.
Fischer kritisiert weiter, dass das DRG den Anreiz schaffe, am gleichen Patienten immer nur einen Eingriff vorzunehmen, auch wenn zwei Probleme gleichzeitig gelöst werden könnten. Für Beat Straubhaar ist das eine «unbewiesene Behauptung». Doch, das kommt vor und ist im DRG-System legal, weil die therapeutische Freiheit der Ärzte zentral ist. Auch hier können unabhängige Zweitmeinungen abhelfen. Noch wirksamer sind alternative Versicherungsmodelle (AVM) mit Capitation und Qualitätsmanagement.
Wie das? Bei guten AVM vereinbart das Ärztenetzwerk mit dem Versicherer ein Jahresbudget für das zu versorgende Versichertenkollektiv. Im Budget enthalten sind alle Leistungen zu Lasten der Grundversicherung, auch Spitalleistungen. 

«Das Ärztenetzwerk hat also ein Interesse an Qualität, an Effizienz und am Vermeiden überflüssiger Medizin»

Das Ärztenetzwerk hat also ein Interesse an Qualität, an Effizienz und am Vermeiden überflüssiger Medizin. Unterschreitet das Ärztenetzwerk das Budget, wird der gesparte Betrag zwischen Netzwerk und Versicherer aufgeteilt. Budgetüberschreitungen werden untersucht. Sind die Ursachen Versicherte, die kränker sind als angenommen, bezahlt der Versicherer. Wenn nicht, trägt das Netzwerk das Risiko.
Das hat doch politisch keine Chance. In Zukunft werden wir nicht darum herum kommen, insbesondere teure medikamentöse Behandlungen nur dann zu Lasten der Grundversicherung zu vergüten, wenn die Ziele auch erreicht werden. Die Tendenz zu individualisierter Medizin wird den Druck zu Pay for Performance erhöhen, auch wenn diese Vergütung viel anspruchsvoller ist als die Abgeltung erbrachter Leistungen.
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