Heilmittel-Zulassung: Rasch bewilligt, lange teuer

Sollen bestimmte Medikamente in der Schweiz schneller zugelassen werden? Diese Forderung wird lauter. Es gibt wissenschaftliche Argumente dagegen.

, 9. Dezember 2016 um 14:30
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Dass hoffnungsreiche Krebsmedikamente schneller zugelassen werden – dies wird auch bei uns zu einer zunehmend eifrig gestellten Forderung (siehe hierhier und hier). Die FDA und die europäische Aufsichtsbehörde EMA nutzen vermehrt die Möglichkeit, über «Fast Track»-Verfahren innovative Wirkstoffe rasch an die Patienten zu bringen. In der Schweiz dürften ähnliche Varianten in den nächsten Jahren gesetzlich ermöglicht werden.
Bleibt die Frage: Bringt das auch wirklich etwas?
Das mag auf den ersten Blick zynisch tönen. Aber grundsätzlich verspricht die «Fast Track»-Idee für wichtige und innovative Medikamente besonders viel – und so darf durchaus geprüft werden, ob diese Versprechen auch halbwegs eingehalten werden.

Trauriger Realitäts-Check

Die Antwort ist ernüchternd. Letztes Jahr gingen zwei Forscher der National Institutes of Health und der Universität Portland jenen Krebsmedikamenten nach, welche von der US-Zulassungsbehörde FDA zwischen 2008 und 2012 nach einem Spezial-Verfahren bevorzugt zugelassen worden waren. Wie waren die Ergebnisse drei bis fünf Jahre später? Wie die Wirkung bei den Patienten?
Von 36 Medikamenten, bei denen im Bewilligungsverfahren Verbesserungen (wie ein Schrumpfen des Tumors oder gewisse Phasen ohne Tumorwachstum) angedeutet worden waren, erfüllten 18 die Erwartungen auf lange Sicht nicht: Nachdem die Wirkstoffe auf den Markt gekommen waren, konnten sie keine messbaren Verlängerungen des Lebens der Patienten bieten. Bei 13 liessen sich mögliche lebensverlängernde Wirkungen nicht definitiv festmachen (aber auch nicht abschliessend verneinen).
«Unsere Resultate zeigen, dass die meisten neubewilligten Krebsmedikamente offenbar keine klinisch relevanten Veränderungen bewirken», fassten die Onkologen Chul Kim und Vinay Prasad zusammen.

Nützt nix, im Markt bleibt es trotzdem

Diese Aussage wird jetzt durch eine neue Studie ziemlich genau wiederholt.
Soeben veröffentlichten zwei Pharmazeutinnen des National Center of Health Research in Washington eine sehr ähnlich angelegte Untersuchung: Wieder wurden Krebsmedikamente untersucht, bei denen im Rahmen eines raschen Bewilligungsverfahrens gewisse Langfrist-Ergebnisse angenommen worden waren (die sich dann erst später, in der Realität des Alltags wirklich vollends zeigen konnten). Und wieder ging es um Mittel, die zwischen 2008 und 2012 von der FDA zugelassen worden waren. 


Und auch hier liessen sich postmarketing fast keine Verbesserungen bei der Überlebensdauer der Betroffenen oder bei der Lebensqualität festmachen. In einem Fall deutete sich sogar eine Lebensverkürzung an, während ein Medikament immerhin zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führte.
Interessant ist nun eine Nebenbemerkung von Tracy Rupp und Diana Zuckerman: nämlich dass nur ein einziges dieser Medikamente danach, in den wirkungslosen Jahren seit der Bewilligung, ihre Zulassung wieder verloren hatten.
Und übrigens: Die Preise der beobachteten Medikamente bewegten sich auf dem amerikanischen Markt zwischen 20'000 und 170'000 Dollar für einen Jahresbedarf.
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