Die wichtigsten Fragen zum Globalbudget

Die Einführung eines flächendeckenden Globalbudgets für das Schweizerische Gesundheitswesen rückt immer näher. Was kommt auf unser Gesundheitssystem zu?

, 19. März 2019 um 05:00
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Der Bundesrat peilt verbindliche Zielvorgaben für die künftige Entwicklung der Gesundheitskosten an, also ein Globalbudget. Medinside berichtete. Die Idee dahinter: Weniger Kosten – und somit auch tiefere Prämien. Doch dieser Grundsatzentscheid wirft gleichzeitig Fragen auf, viele davon sind noch offen. Wir liefern die Antworten auf die drängendsten Fragen.

  • Was ist ein Globalbudget?

Der Zweck von verbindlichen Zielvorgaben (Kostenziel, Kostenbremse, Kostendach, Kostendeckel) ist die Einführung eines Globalbudgets. Ein Globalbudget ist ein finanzielles Steuerungsinstrument, das aus einem maximal pro Jahr verfügbaren Betrag besteht. Es sieht bei Überschreiten der Vorgabe von Kosten und/oder Mengen finanzielle Sanktionsmechanismen vor.

  • Welche Sanktionen sind für Ärzte und Spitäler vorgesehen?

Übersteigen etwa die Anzahl verrechneter Taxpunkte die budgetierten Werte, würde sich der Taxpunkt entsprechend reduzieren. Dies kann dazu führen, dass Leistungserbringer wie Ärzte oder Spitäler Leistungen über der Zielvorgabe zurückzahlen müssten oder nachträgliche Tarifsenkungen in Kauf nehmen müssten, was wiederum Fehlanreize befeuern könnte. 

  • Welche Zielgrösse gilt als Massstab?

Zur Diskussion stehen etwa Orientierungs- und Behelfsgrössen wie das Wirtschaftswachstum (BIP) oder die Entwicklung der Nominallöhne. Budgetvorgaben sind komplementär zu einer verbindlichen Zielvorgabe zu sehen, können aber auch unabhängig davon vorgesehen werden. Denkbar ist auch eine politische definierte Zielgrösse für das Kostenwachstum, also eine nicht explizit an bestimmten Grössen gebundenen Zielvorgabe.

  • Wie funktioniert das in der Praxis?

Derzeit stehen nur theoretische Überlegungen im Vordergrund. Bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum (BIP) von 2.7 Prozent wäre zum Beispiel denkbar, die jährlichen Wachstumsraten der Gesundheitsausgaben vorübergehend von 4 Prozent auf 3.3 Prozent und zu einem späteren Zeitpunkt unter 3 Prozent zu senken. Dabei soll eine periodische Überprüfung stattfinden, etwa alle fünf Jahre.

  • Wer definiert die Zielvorgabe?

Die Kompetenz zur Festlegung der Kostenwachstumsziele ist eine der entscheidenden Fragen. Denn diese Festlegung setzt einen Konsens über das gesellschaftlich akzeptierte Wachstum der Gesundheitsausgaben voraus. Die Expertengruppe des Bundes erachtet die Festlegung der Ziele und Budgets durch den Bundesrat als sinnvoll. Die Entscheidkompetenz für die Globalziele, so die Überlegungen, könnte aber auch einem neu zu schaffendem Gremium übertragen werden, bestehend aus Leistungserbringer und der Krankenversicherer sowie den Kantonen.

  • Wer definiert die zu erbringenden Leistungen?

Die Behandlungen selbst beziehungsweise welche Leistungen zu erbringen sind, müssten die Kantone im Detail definieren. Das trifft auch auf Eckpunkte zu, wie zum Beispiel Periodizität und Dauer des Globalbudgets, regionale Differenzierung, Anpassung an demografische Entwicklungen und medizinischer Fortschritt oder Qualitätssicherungsmassnahmen.

  • Wer setzt die Massnahmen um?

Insbesondere die Kantone, welche die Anwendung und die konkrete Ausgestaltung definieren. Die Tarifpartner sind bei ihren Verhandlungen dann direkt von den jeweils im Kanton geltenden Spielregeln betroffen. Um im ambulanten Bereich Budgetvorgaben für Leistungserbringer verpflichtend vorzusehen, ist eine Gesetzesänderung (KVG) erforderlich, wahrscheinlich sogar auf Stufe Verfassung.

  • Sind Globalbudgets für das schweizerische Gesundheitswesen neu?

Nein, im stationären Bereich ist es bereits heute den Kantonen frei, Globalbudgets vorzusehen. Aktuell machen die Kantone Genf, Tessin und Waadt von dieser Möglichkeit Gebrauch. Im Kanton Waadt (Unispital Lausanne) und in Genf (HUG) wird eine Umsetzung auf freiwilliger Basis im spitalambulanten Bereich praktiziert, allerdings stark subventioniert durch gemeinwirtschaftliche Leistungen. Gleichzeitig stechen diese drei Kantone mit den höchsten Prämien hervor (neben Basel-Stadt). Anders ausgedrückt: Von den vier Kantonen mit den höchsten Prämien haben drei das Globaldbudget im Spitalsektor. 
  • Wäre ein Globalbudget zwingend?

Nein, jeder Kanton könnte selbst entscheiden, ob er die Massnahme ergreifen möchte oder nicht. Analog zum stationären Bereich soll es den Kantonen offen stehen, ob sie dieses Instrument nutzen wollen.

  • Wer erhebt die relevanten Daten?

Die relevanten und zentralen Daten wie Leistungsvolumen, Abrechnungspraktiken oder Durchschnittseinkommen könnte das Bundesamt für Statistik (BFS) zusammen mit den Versicherern und Kantonen erheben und aufbereiten. Die Formulierung der Globalziele und die Umsetzung der Sanktionen setzt laut den Experten des Bundes eine substanzielle Verbesserung der Gesundheitsbranche- und OKP-Daten voraus. Hier will der Bund die Leistungserbringer gleichzeitig dazu bestärken, Daten zu liefern.

  • Was sagen die Befürworter?

Die Anhänger dieser Idee beurteilen die Massnahme als sehr wirksam gegen nicht notwendige und unbegründbare Behandlungen. Kostenziele und Globalbudgets würden zu einer Kosteneindämmung führen. Oftmals wird das bislang unbelegte Argument herangezogen, dass rund 20 Prozent der Leistungen unnötig sind. Das Instrument könne aber auch durch seine blosse Verfügbarkeit Wirkung auf die Kosten entfalten. Und zwar, wenn durch die Drohung im Hintergrund eine Anpassung des Verhaltens der Leistungserbringer eintrete. Befürworter von Globalzielen und Globalbudgets sind etwa Vertreter von politischen Parteien der SP und der CVP, Gesundheitsminister Alain Berset, das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sowie die Krankenkasse CSS. Auch die Spitze der Krankenkassenverbände Santésuisse und Curafutura spricht sich nicht mehr explizit gegen solche Kostenziele aus. 

  • Was sagen die Gegner?

Es wird vermutet, dass durch die Zielvorgaben nötige Leistungen nicht erbracht und Kosten am falschen Ort gespart würden. Die Gegner warnen vor der Gefahr einer impliziten Rationierung und damit von längeren Wartezeiten für Termine wie etwa in Deutschland, Kanada oder Grossbritannien. Dies führe zu Ineffizienzen, Versorgungsengpässen und einer Zwei-Klassen-Medizin. Weil die Ärzte im Voraus nicht wüssten, wie viele Leistungen total erbracht würden, verlagere sich das Ziel von einer qualitäts- zu einer mengenbasierten Behandlung. Gegner sind vor allem die meisten Gesundheitsökonomen, Ärzte und Verbände, zum Teil die Krankenkassen, Pharmaindustrie, Spitäler und Patienten. 
  •  Was will das Volk?
Neun von zehn Befragten gehen davon aus, dass Globalbudgets zu längeren Wartezeiten und einer beschränkten Arzt- und Spitalwahl führen würde. Dies zeigt die repräsentative Umfrage Gesundheitsmonitor, durchgeführt vom Berner Forschungsinstitut gfs. Über die Hälfte der Stimmbürger glaubt nicht, dass die Einführung von Globalbudgets zu tieferen Prämien führen würde. Knapp drei Viertel gehen davon aus, dass Patienten mit einem Globalbudget nicht alle notwendigen Medikamente erhalten würden und mehr als drei Viertel der Befragten rechnen generell mit einer schlechteren Qualität im Gesundheitswesen.

  • Worin liegen die Schwierigkeiten?

Es gibt verschiedene Spielarten von Globalbudgets. Doch allen ist eines gemeinsam: Die Definition von Zielvorgaben für das maximale Kostenwachstum und die Festlegung der Sanktionsmassnahmen erfordert eine äusserst hohe Planungskompetenz. Insbesondere auch, um die Zielwerte dann richtig zu setzen und die Sanktionsmassnahmen zu vollziehen. Dieser Entscheid wird dann (allwissenden) zentralen Planern übertragen. Noch anspruchsvoller als die Formulierung des Globalziels ist die Feinsteuerung, das heisst das Herunterbrechen der Budgets auf die einzelnen Leistungsbereiche. Im Extremfall müsste für jede Praxis ein Budget erstellt werden. Zudem dürfte die (föderalistische) Struktur der Schweiz eine zusätzliche Erschwernis darstellen. Darüber hinaus wäre die rechtliche Umsetzung sehr schwierig.
Was sind die Erfahrungen aus anderen Ländern?
Die Erfahrungen aus anderen Ländern sind durchwachsen: Globalbudgets wird wenig zugetraut, Kostensenkungen auszulösen. Deutschland hat ein von der Kassenärztlichen Vereinigung festgelegtes Globalbudget. Mit dem Prinzip der lohnabhängigen Beitragssatzstabilität versuchte man, die Menge der erbrachten Leistungen in den Griff zu bekommen, was nicht gelang. Die meisten kritische Stimmen zu Zielvorgaben und Globalbudgets kommen von Leistungserbringern aus Deutschland. Viele deutsche Ärzte warnen davor, den Fehler, den Deutschland begangen hat, in der Schweiz zu wiederholen. Und weder in Deutschland noch in den Niederlanden, Referenzländer für die Expertengruppe, ist es gelungen, über an der Wirtschaftsentwicklung orientierte Globalbudgetansätze die Totalausgaben für das Gesundheitswesen am Bruttoinlandprodukt zu reduzieren.
  • Ist ein Globalbudget nun gut oder schlecht?
Diese Frage ist hochumstritten. Die Antwort hängt vor allem vom Verständnis über die Rolle des Staates und somit generell von ideologischen Überlegungen ab. Anhänger von staatlichen Eingriffen sind der Idee gegenüber wenig abgeneigt. Befürworter eines regulierten Wettbewerbs stehen Interventionen im Allgemeinen und Globalbudgets eher kritisch gegenüber. Oftmals ist es ja so, dass die Vorteile staatlicher Regulierung die durch sie entstehenden Kosten nicht überwiegen. Wichtig erscheint auch: Die Menge an medizinischen Leistungen zu senken, kann politisch nur durch Rationierung erfolgen. Und umgekehrt besteht bei Preis bzw. Tarifsenkungen ein Anreiz für die Leistungserbringer, die Preise durch höhere Mengen zu kompensieren. 
  • Wann ist die Einführung geplant?

Der Bundesrat hat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) von Alain Berset beauftragt, bis Ende 2019 eine entsprechende Vorlage zu erarbeiten. Demnächst soll eine Studie vorliegen, die genauer aufzeigt, welchen Einfluss ein Globalbudget auf die Gesundheitskosten in der Schweiz hat. Ein erstes Paket für Kostendämpfungsmassnahmen wurde im September 2018 in die Vernehmlassung geschickt. Das zweite Paket soll Ende 2019 folgen. Die Vorlage für die Einführung einer Zielvorgabe für die Kostenentwicklung soll Teil dieses zweiten Pakets sein. 

Ihre Meinung ist gefragt: Wie beurteilen Sie die Pläne des Bundesrates? Berichten Sie uns davon in den Kommentaren. 
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